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Die Welt aus den Fugen

Die Welt aus den Fugen

Titel: Die Welt aus den Fugen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Peter Scholl-Latour
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durch Afghanistan gefährdet sind, wenn die Taleban oder eine radikal-islamische Regierung in Kabul die Macht ausübt, das sind die Anrainerstaaten der früheren Sowjet­union, wie zum Beispiel Usbekistan, Tadschikistan, Kirgistan. Da könnte der radikale Islam übergreifen, und das wäre dann eine Bedrohung Rußlands. Nicht Deutschland wird am Hindukusch verteidigt, Rußland wird am Hindukusch verteidigt.
    Die Schweiz als gutes Beispiel
    30. 11. 2009
    Mit der Berufung von zwei Unbekannten an die Spitze der Europäischen Union hat sich Europa keinen Lorbeerkranz gewunden. Aber es hätte schlimmer kommen können. Der ehemalige britische Premierminister Tony Blair, der im Irakkrieg im gleichen Ausmaß wie George W. Bush gegen alle Regeln des Völkerrechtes verstoßen hat, ist mit knapper Not als Ratspräsident verhindert worden. Und nur ein paar Narren in Deutschland können Bedauern darüber äußern, daß Joschka Fischer, der ehemalige Chef des Berliner Auswärtigen Amtes, nicht gekürt wurde.
    Die beiden neuen Führungsgestalten in den wichtigsten Positionen der Europäischen Union, der flämische Christdemokrat Herman Van Rompuy und die britische Baroneß Catherine Ashton, die erst vor kurzem auf Betreiben ihrer Labour Party in den Adelsstand erhoben wurde, sind – wie es scheint – redlich, aber recht profilarm. In Washington, Peking und Moskau, aber auch in Berlin und Paris traut ihnen niemand ernsthaft zu, daß sie über ausreichend Ausstrahlung und Prestige verfügen, um die anstehenden und bereits entflammten Krisen finanzieller und militärischer Natur, die die Welt heimsuchen, im Sinne des Abendlandes nachhaltig zu beeinflussen oder gar zu gestalten.
    Dieses sehr unterschiedliche Paar ist das Produkt eines zögerlichen Kompromisses und heimlicher Absprachen in den Hinterkammern der Macht. Neben einen Mann hat man, um der feministischen Strömung Rechnung zu tragen, eine Frau gestellt. Ein gemäßigter Christdemokrat wird von einer gemäßigten Sozialistin flankiert, die mit dem Titel einer Hohen Vertreterin für die Außenpolitik der Union zuständig sein soll. Mündliche Qualitäten und sogar eine gewisse politische Begabung sollten diesem disparaten Paar nicht abgesprochen werden. Vielleicht hat sich dieser Weg der Behutsamkeit und Mittelmäßigkeit dem Verbund von 27 extrem unterschied­lichen Staaten geradezu aufgedrängt. Europa hat nun einmal keinen siegreichen General Washington wie die USA bei ihrer Gründung. Man stelle sich das Entrüstungsgeschrei vor, wenn eine Persönlichkeit vom grandiosen Format eines Charles de Gaulle nach der Ratspräsidentschaft gegriffen hätte. Selbst der kluge Premierminister von Luxemburg, Jean-Claude Juncker, der über zupackende Energie und profunde Kenntnis der Materie verfügt, erschien den Kuratoren bereits als schwergewichtiger und deshalb unbequemer Kandidat.
    Henry Kissinger hatte einmal spöttisch bemerkt, in Fällen ernsthafter Entscheidungen wisse man in Washington nie, welche Telefonnummer man in Brüssel wählen müsse. Auch in Zukunft werden die Großen dieser Welt – ob sie nun Barack Obama, Hu Jintao oder Dmitri Medwedew heißen – den direkten Kontakt zu Berlin, Paris und London aufnehmen ­müssen, um sich über die realen Absichten der Europäer zu informieren. Wer sich von dem Abkommen von Lissabon versprochen hatte, die Europäische Union könne in Zukunft ­neben den Vereinigten Staaten, der chinesischen Volksrepublik und der Rußischen Föderation als gleichwertiger und gleichberechtigter Partner auftreten, sollte seine Zuversicht dämpfen. In Brüssel hat sich zwar eine wirtschaftliche Koordinationszentrale herausgebildet, die über globale Bedeutung verfügt.
    Auf dem Feld der Außen- und Militärpolitik jedoch ließe sich kein einziger der Mitgliedsstaaten – auch nicht Estland – Richtlinien vorschreiben, die den eigenen nationalen Interessen widersprächen. Bei der Berufung von zwei relativ unbedeutenden Politikern hat die Europäische Union sich schweizerischer gebärdet, als es die Europagegner der Eidgenossenschaft erwarteten. So war es in Zürcher Pressekommentaren zu lesen. Helvetien wird längst von einem ähnlichen Geist des Ausgleichs zwischen Regionen, Parteien und Geschlechtern regiert und ist damit gut gefahren. Doch

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