Die Welt aus den Fugen
sie sich wieder mobilisiert. Welchen Einfluà haben sie auf die bevorstehende Wahl?
Es gibt gar keine einheitliche Haltung unter den Taleban. Der eine Mullah empfiehlt, nicht wählen zu gehen, es gibt jedoch auch andere Talebanführer, die das nicht so ernst nehmen. Aber das ist irrelevant, das spielt alles gar keine Rolle. Diese Wahlen sind doch westliches Gequatsche. Das Schlimme ist nur, daà der Westen sich selber täuscht. Andere täuschen â das geht ja noch. Aber wenn man sich selber täuscht, wirdâs gefährlich.
Die Taleban sind ein groÃes Problem für die afghanische Regierung. Was kann sie tun, um dagegen vorzugehen?
Karzai versucht, möglichst viele von den Talebanführern auf seine Seite rüberzuziehen â das ist immer mit ziemlich viel Geld verbunden. Manchmal klappt es, manchmal klappt es nicht. Das ist alles sehr undurchsichtig. Abgesehen davon hat Karzai überhaupt keine Macht; die Macht liegt in den Händen der Alliierten. Karzai ist inzwischen nicht einmal mehr eine Marionette. Er taugt nicht mehr dazu.
Karzai bindet also Taleban ein, dabei ist viel Geld im Spiel. Ist das Korruption oder eine vielleicht doch gar nicht so dumme Strategie?
Das darf man nicht mit westlichen Augen sehen. Die Korruption in diesen Ländern ist ein Tatbestand, der immer existiert hat, er gehört quasi dazu. Was dort existiert, ist sogar eine Form von Loyalität. Wenn jemand in einer Familie oder einem Stamm über Reichtum verfügt, ist er verpflichtet, diesen mit seinen Stammesangehörigen und seinen Familienangehörigen zu teilen. Das ist schon eine Form der Korruption, denn derjenige muà dann natürlich auch einen guten Posten bekommen.
Bleiben wir beim Unterschied zum Westen. Demokratie hat ja als Staatsform keine Tradition in Afghanistan â¦
⦠die westliche Demokratie ist für diese Länder nicht tauglich, das muà man endlich verstehen! Es gibt auch kaum Länder, die die westliche Demokratie so praktizieren, wie wir sie gerne haben wollen. Nennen Sie die Länder, die demokratisch regiert werden â auÃerhalb von Europa. Schon innerhalb Europas ist das teilweise fraglich. Da kommen wir zu einem erbärmlichen Resultat. Die Länder, die erfolgreich regiert werden, werden autokratisch oder von einer Partei regiert â nehmen wir die Schwellenländer oder frühere Länder der Dritten Welt. Die groÃen wirtschaftlichen Erfolge sind nicht durch die Demokratie gekommen, sondern durch eine kluge autoritäre Führung.
Was ist also die bessere Alternative für Afghanistan?
Die Afghanen müssen sehen, daà sie selbst ihre eigene Regierungsform finden. Das ist nicht unsere Angelegenheit. Im übrigen: In Dörfern und in den Stämmen gibt es auch eine Form von Demokratie. Dort gibt es eine Dorfversammlung, dort haben die Ãltesten oder der stärkste Mann das Sagen, und da wird dann auch irgendwie bestimmt. Die Menschen haben einfach eine andere Form des Zusammenlebens.
Inwieweit soll der Westen also seine Strategie nach der Wahl ändern?
Der Westen kann gar nichts daran ändern. Der Westen verschlimmert ja nur die Situation.
Das heiÃt: raus aus Afghanistan?
Uns wird am Ende gar nichts anderes übrigbleiben, egal was Herr Jung oder andere Politiker auch proklamieren mögen. Es besteht doch bei den deutschen Parteien nur die groÃe Angst, daà das ein Wahlkampfthema werden könnte; deswegen wird jede Meldung aus Afghanistan kleingeredet.
Die Einschätzung des Verteidigungsministers, die Bundeswehr müsse noch fünf bis zehn Jahre in Afghanistan bleiben, halten Sie also nicht für realistisch?
Nein. Das ganze Gerede darum, daà El Qaida in Afghanistan sei, stimmt ja gar nicht. Die sind jetzt in Pakistan, im Jemen und vielleicht in Somalia. Die Frage ist aber auch: Existiert El Qaida überhaupt als zentrale Organisation? Ich bezweifle das sehr stark.
Eine letzte Frage: Welche Bedeutung hat Afghanistan für uns im Westen?
Eine immer geringere. Eine immer schädlichere, aber strategisch gesehen eine immer geringere Bedeutung. Das Schicksal der Region spielt sich jetzt in Pakistan ab, nicht mehr in Afghanistan. Und das sind 180 Millionen Menschen â mit denen werden wir nicht fertig, zumal sie auch noch die Atombombe haben. Darüber können wir uns Sorgen machen, aber nicht um Afghanistan, das völlig eingeschlossen ist. Diejenigen, die
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