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Die Welt aus den Fugen

Die Welt aus den Fugen

Titel: Die Welt aus den Fugen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Peter Scholl-Latour
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Heimat gefunden haben, energisch beizustehen. Als wirksames Instrument dieser Rettungsaktion mußte er sich auf die amerikanischen Streitkräfte verlassen, zumal jede haitianische Polizeigewalt erloschen war und blutiges Chaos drohte.
    Dieser unentbehrliche Einsatz der US Marines in Port-au-Prince weckt jedoch schmerzliche Erinnerungen. Hatten doch die Nordamerikaner im Laufe des 19. Jahrhunderts die Kolonialherrschaft der Franzosen durch eine ruchlose Plünderung der kleinen Republik durch ihre Wirtschaftskonzerne, zumal die berüchtigte United Fruit, ersetzt. Zwischen 1915 und 1932 hatten sogar amerikanische Besatzungstruppen eine Art Protektorat errichtet.
    In trister Erinnerung bleibt vor allem die diabolische Erscheinung des »Papa Doc«, des schwarzen haitianischen Diktators François Duvalier, dessen Terrorregime von den Yankees geduldet wurde, weil er als Bollwerk gegen die kommunistischen Umtriebe Fidel Castros auf der Nachbarinsel Kuba nützlich war. Ähnlich große Willkür wurde unlängst noch von dem zum Tyrannen entarteten »Armenpriester« Aristide ausgeübt. Als schließlich die Blauhelme der Vereinten Nationen unter brasilianischem Kommando ein Minimum an Recht und Ordnung wiederherstellen wollten, scheiterte die Weltorganisation auf Haiti ähnlich kläglich wie die früheren humanitären Interventionen der UNO im Kongo oder in Kambodscha.
    Um in Haiti nicht nur die Ruinen der jüngsten Heimsuchung zu beseitigen, sondern um dieser von Anfang an mißlungenen politischen Konstruktion endlich aus ihrer unsäglichen Misere herauszuhelfen, bedürfte es einer starken ordnenden Macht. Aber ein wohlwollender Despot ist ebenso wenig in Sicht wie einst eine vernünftige Schirmherrschaft, die dieser armen, aber zutiefst stolzen Nation ein Leben in Würde und eine erträgliche Existenz zusichern könnte.
    Der Westen ohne Konzept
    22. 03. 2010
    Ein Winter des Unbehagens hat uns heimgesucht. Das liegt nicht nur an den eisigen Temperaturen, die weite Teile Europas im Griff halten. Noch sind sich die Experten nicht einig über die wahren Ursachen der Bankenkatastrophe, und schon stehen sie im Bann einer sich abzeichnenden Rezession der Realökonomie. Die Mißstimmung dieser Saison ließ sich sogar bis zum Streit um das Bankgeheimnis verfolgen, der Schweizer und Deutsche in eine Konfrontation trieb, wie man sie seit den Schwabenkriegen nicht mehr erlebt hat. Die Ablösung eines allzu forschen deutschen Finanzministers aus Hamburg durch den gelassenen Wolfgang Schäuble scheint eine gewisse Linderung bewirkt zu haben.
    Doch es geht um weit mehr. Die Frage stellt sich, ob der Westen überhaupt noch über eine Wirtschafts- und Finanzstruktur verfügt, die der neuen Weltlage nach dem Ende des Kalten Krieges und besonders seit dem schier unaufhaltsamen Aufstieg der sogenannten Schwellenländer gewachsen ist. Der spekulative Kasino-Kapitalismus, wie er vor allem von den angelsächsischen Geldinstituten und Riesenkonzernen betrieben wurde, hat sich als giftige Blase erwiesen.
    Diese Form der Marktwirtschaft wird in den Ländern, die hoffnungsvoll auf Wall Street oder die Londoner City blickten, keine Nachahmer finden. Unter den Rivalen des Westens hat sich die Volksrepublik China an die Spitze einer phänomenalen Entwicklung gestellt. Die Deutschen können sich nicht länger rühmen, Weltmeister des Exports zu sein. Und die USA stehen in Peking mit einer immensen Schuldenlast in der Kreide.
    Bemerkenswert sind die politischen Voraussetzungen, unter denen dieser sensationelle Durchbruch des Reiches der Mitte erzielt wurde. In anderen ostasiatischen Staaten – auch innerhalb der Arabischen Liga – existiert eine wachsende Tendenz der über Jahrzehnte herrschenden Machthaber, durch Weitergabe der Präsidentschaft an ihre Söhne oder nahe Verwandte neue Dynastien zu schaffen. Von Demokratie kann ohnehin nur noch in Ausnahmefällen die Rede sein.
    Die westliche Propaganda neigt dazu, die beiden erfolgreichen Staaten, die ihre Modernisierung, Technisierung und allmähliche Wohlstandssteigerung bewältigten, in die Kategorie jener Zwangssysteme einzugliedern, die der blinden Willkür ihrer Potentaten ausgeliefert sind. Diese beiden Staaten sind die Volksrepublik China und, in bescheidenerem Maße, das immer noch von der kommunistischen Lao-Dong-Partei geführte Vietnam.
    Doch die Analyse ist falsch. Gewiß, in

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