Die Welt aus den Fugen
schwierig. In RuÃland leben 20 bis 25 Millionen Muslime. Deshalb haben die Russen den Amerikanern für ihre Intervention Verbindungsrouten und Luftstützpunkte in Zentralasien zur Verfügung gestellt. Dieses Entgegenkommen ist ihnen aber schlecht gedankt worden. Mittlerweile haben Kasachstan, Usbekistan, Turkmenistan und Kirgistan mit RuÃland und China eine Art »Heilige Allianz« gegen den Islamismus geschmiedet.
Auch China wird eher am Hindukusch verteidigt als Deutschland. Uigurische Partisanen und Saboteure sind in Afghanistan ausgebildet worden. Aus Pakistan wandern Prediger ein. Peking hat den Uiguren nach den Exzessen der »Kulturrevolution« eine gewisse Selbstverwaltung gewährt. Aber Sezession wird nicht geduldet.
Wenn die NATO Afghanistan aufgibt, wird sich dann El Qaida des Landes wieder bemächtigen?
Hier haben wir es auch mit permanenter Desinformation zu tun. El Qaida ist keine afghanische, sondern eine saudische Organisation. »Nine Eleven« war nicht das Werk afghanischer Freischärler, sondern saudiarabischer Studenten. Fliegen lernten die Selbstmordattentäter in Florida, Flugpläne studierten sie in Hamburg.
Wie groà und real ist die Gefahr El Qaida noch?
Das ist ein buntgescheckter Haufen von Fanatikern, die über den ganzen Dar-ul-Islam, von Marokko bis Indonesien, verstreut sind und die unter 1,3 Milliarden Muslimen abtauchen können. El Qaida ist nicht auf Höhlen am Hindukusch als Schlupfwinkel angewiesen, sondern verfügt von den Steppen des afrikanischen Sahel bis zum philippinischen Dschungel über Rekrutierungsmöglichkeiten und Rückzugsgebiete. Die westliche Staatengemeinschaft kämpft »out of area« gegen eine Hydra mit Abertausenden Köpfen.
Und was ist nun mit Afghanistan? Ist das Land noch zu retten?
Die Hoffnung, in Afghanistan »hearts and minds«, also Herzen und Gemüter, zu gewinnen, ist naiv, eine Schimäre. Da hatten seinerzeit die Sowjets mehr Sympathien in Teilen der Bevölkerung als heute die westliche Allianz. Und das hat ihnen auch nichts genützt.
Aber im Vergleich zur Zeit der Talebanherrschaft hat sich doch einiges verändert?
Was? Daà sich Drogenbarone Luxusvillen errichten? Ãber die Shantytowns haben die Behörden und Besatzer keine Kontrolle. Die Festung Kabul ist nicht sicher. Der Paschtunwali, der Ehrenkodex der Paschtunen, kennt die Blutrache. Da muà man sich über Vergeltungsaktionen für die Opfer der Bombardements nicht wundern.
Aber denkt man allein an die frevelhafte Zerstörung eines einmaligen Weltkulturerbes, die Sprengung der Buddhastatuen von Bamiyan, ist man froh, daà die Taleban gestürzt wurden, auch wenn man die militärische Intervention verurteilt.
Die Taleban sind primitive Leute. Bilderstürmerei aber hat es immer und überall gegeben, auch in der Christenheit, auch unter den Reformierten, etwa den Calvinisten.
War die in zwei Lager gespaltene Welt friedlicher?
Die bipolare Welt kannte auch zahlreiche Konflikte. Weltweit wurden blutige Stellvertreterkriege geführt. Aber, wenn es wirklich ernst wurde, war der Kontakt zwischen Moskau und Washington da, um das Schlimmste zu verhindern. Das ist heute nicht mehr der Fall. Insofern ist die Gefahr gröÃer. Und im Vergleich zu den heutigen Spannungen, die ich eher als Folge einer ungezügelten Globalisierung sehe statt des Niedergangs des Kommunismus, mag der Kalte Krieg von gestern friedlicher erscheinen â aus der Sicht der Westeuropäer und Nordamerikaner, die dank des strategischen Patts der beiden Supermächte relative Sicherheit genossen und sich auf die Mehrung ihres Wohlstands konzentrieren konnten.
Sie registrieren nun aber eine Rückkehr des Kalten Krieges?
Das ist ein ganz anderer Kalter Krieg, ein multipolarer, multilateraler, ohne die angespannte VerläÃlichkeit des bipolaren Antagonismus zwischen Washington und Moskau. Nach dem Intermezzo der Pax Americana haben wir ein wiedererstarktes RuÃland und ein starkes, selbstbewuÃtes China. Und die wachsende islamische Welt. China ist ein verläÃlicher Partner. Auch die Russen, wenn man sie nicht provoziert.
Beispielsweise mit Raketenschilden vor ihrer Haustür.
RuÃland muÃte Bushs Raketenpläne als unmittelbare Bedrohung werten. Wer will es den Russen verdenken, wenn sie daraufhin die Aufstellung atomarer Lenkwaffen in der verbündeten Republik Belarus oder Kaliningrad
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