Die Welt der Drachen
finster im Halbkreis der Bronzereiter um. Er versuchte zu erkennen, wer es gewagt hatte, den beiden Nachricht zu geben. Und Lessa verstand plötzlich, dass R'gul seinen Widersacher F'lar nicht nur hasste, sondern auch fürchtete. Sie spürte auch, dass F'lar sich verändert hatte. Für ihn war die lange Wartezeit vorüber.
Er lauerte angespannt.
Ramoth erhob sich, und Lessa wusste, dass die beiden Reiter keine Sekunde zu früh gekommen waren. Erregung hatte die Drachenkönigin erfasst. Lessa eilte zu ihr, um sie zu besänftigen, aber Ramoth achtete nicht darauf.
Mit unerwarteter Behendigkeit lief sie auf den Felsvorsprung hinaus und verjagte fauchend die Bronzedrachen, die in der Nähe warteten. Lessa und die Drachenreiter traten ebenfalls ins Freie.
F'nor hob Lessa auf Canths Rücken und steuerte den Braunen rasch zur Futterstelle hinunter. Ramoth glitt mit eleganten Flügelschlägen über die Herde. Sie warf sich auf eines der verängstigten Tiere und drückte es zu Boden, zu gierig, um es auf die Klippen zu tragen.
»Greifen Sie ein!« rief F'nor nervös und setzte Lessa hastig ab.
Ramoth kreischte zornig, als sie Lessas Befehl hörte. Sie warf den Kopf hin und her und schlug mit den Flügeln. Ihre Augen brannten. Immer wieder schrie sie mit weit vorgestrecktem Hals, und von allen Seiten antworteten die Drachen. Die wilden Schreie hallten von den Felswänden wider.
Nun musste Lessa tatsächlich ihre ganze Willenskraft einsetzen, die sie während der bitteren Jahre auf Ruatha entwickelt hatte. Ramoths keilförmiger Kopf pendelte hin und her; in ihren Augen glühte Zorn. Das war nicht mehr das liebenswerte, vertrauensvolle Drachenkind. Das war ein wilder Dämon.
Lessas Wille siegte. Sie zwang Ramoth zum Gehorsam. Die Drachenkönigin beugte sich fauchend über den getöteten Bock und riss ihm die Halsschlagader auf.
»Achtung! flüsterte F'nor. Lessa hatte den braunen Reiter völlig vergessen.
Ramoth stieg mit Gekreische auf und stieß mit unglaublicher Schnelligkeit auf das nächste Tier zu. Wieder versuchte sie, das Fleisch zu verschlingen, und wieder setzte Lessa ihre Willenskraft ein. Ramoth begnügte sich zögernd mit dem Blut des Opfers.
Beim dritten Mal wehrte sie sich nicht mehr gegen Lessas Befehle. Das Blut hatte ihre Instinkte geweckt. Sie wusste nun, was sie tun musste: weit, weit fort vom Weyr fliegen, fort von den winzigen flügellosen Geschöpfen, fort von den Bronzedrachen, die sie verfolgten.
Der Dracheninstinkt war auf den Augenblick beschränkt; er ließ sich nicht vorausberechnen oder steuern. Diese Tätigkeiten hatte der Mensch übernommen.
Lessa sang lautlos vor sich hin.
Ramoth warf sich auf den vierten Bock und sog ihn ohne Zögern aus. Stille hatte sich im Weyr verbreitet. Man hörte nichts außer dem gierigen Schmatzen der Drachenkönigin und dem hohen Wimmern des Windes.
Ramoths Haut begann zu glänzen. Sie hob den Kopf und leckte das Blut von der Schnauze. Dann streckte sie sich. Die Bronzedrachen, die um die Futterstelle kreisten, begannen erwartungsvoll zu summen. Mit einer plötzlichen Bewegung schnellte Ramoth in die Luft. Ihre Flügel waren ausgebreitet; unglaublich kraftvoll stieg sie auf. Sieben Bronzedrachen folgten ihr. Die schweren Schwingen wirbelten Staub und Sand hoch.
Lessa spürte, dass ihr Inneres mit Ramoth fortgetragen wurde.
»Bleiben Sie bei ihr«, flüsterte F'nor drängend. »Bleiben Sie bei ihr! Sie darf Ihnen jetzt nicht entkommen.«
Er verließ Lessa und mischte sich unter das Weyrvolk, das wie gebannt zum Himmel starrte, wo die Drachen als winzige Tupfen zu erkennen waren.
Lessa begleitete Ramoth. Sie besaß grenzenlose Macht, ihre Flügel trugen sie ohne Mühe höher, immer höher, und Stolz erfüllte sie, Stolz und Verlangen.
Sie spürte, dass die großen Bronzedrachen sie verfolgten.
Sie verachtete sie. Niemand konnte sie, die Königin, besiegen.
Sie wandte den Kopf nach hinten und forderte sie durch schrilles Hohngeschrei heraus. Hoch über ihnen schwebte sie.
Unvermittelt zog sie die Flügel an und ließ sich in die Tiefe fallen. Die Bronzedrachen wichen hastig zur Seite aus.
Einer blieb erschöpft zurück. Sie rief ihm ihren Spott nach.
Bald danach schied ein zweiter aus. Und Ramoth spielte mit ihnen, sie flog hierhin und dorthin, stieg in Schwindelerregende Höhen und sauste wie ein Stein nach unten. Manchmal vergaß sie bei ihrem berauschenden Spiel die Nähe der Verfolger.
Als sie endlich wieder nach den Bronzedrachen Ausschau
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