Die Welt der Kelten
verstrickt.
Denn Norma ist die Tochter des Oberhauptes der Druiden und selbst Druidenpriesterin und Seherin. Folglich agiert sie auf der
Bühne in einem heiligen Hain, wo sie die Mondgöttin anbetet und Misteln bricht. Ein tragisches Geschick erfährt sie durch
die Liebe zum römischen Prokonsul, wodurch sie nicht nur Verrat an ihrem Volk begangen, sondern sogar ihr priesterliches Keuschheitsgelübte
gebrochen hat. Nach vielerlei Verwicklungen lässt sie einen Scheiterhaufen errichten und gibt sich in dessen Feuer selbst
den Tod.
Opern, Dichtungen und bildliche Darstellungen vermittelten ein im Großen und Ganzen romantisches Druidenbild dieser Art. Aber
die Entdeckung der keltischen Priesterkaste nahm noch ganz andere Formen an. Im Umfeld der am Altertum interessierten Briten,
unter denen es auch anglikanische Geistliche gab, setzte sich im Laufe des 18. Jahrhunderts der Gedanke durch, man müsse das
Druidentum wieder beleben. Mancher von ihnen hatte augenscheinlich eine Art Erweckungserlebnis und glaubte, er sei ein wieder
geborener Druide und stehe in einer Jahrtausende alten Tradition. Andere griffen im Zeitalter der Aufklärung ganz bewusst
auf vermeintliche druidische Überlieferungen zurück und stellten sie in den Dienst der herrschenden Vernunft. In diesem Sinn
gründete sich 1781 in London ein erster Druiden-Orden, der letzthin eine Freimaurerloge war. Solche druidische Logen fühlten
sich der Aufklärung und liberalem Denken verpflichtet und fanden Nachfolger in Deutschland, anderen europäischen Ländern,
in den USA und Australien, wo sie überall bis heute aktiv sind.
Andere Neu-Druiden folgten den erwähnten Erweckungserlebnissen |223| und kreierten eine heidnische Religion, was in ihren Augen einer »Wiederbelebung« des alten keltischen Kults entsprach. Als
Bruderschaften in dessen Diensten sahen sie sich als die Erben und Fortführer der Druidentradition. Unter dem Anspruch ungebrochener
Authentizität versammelte man sich in Stonehenge zu Sonnenwendfeiern und kleidete sich in eine angeblich druidische Tracht.
Darüber hinaus entstanden aber auch neue Heiligtümer, die gleichwohl als uralt angesehen wurden – ähnlich wie vermeintlich
altbritannische Schriftzeichen, die frei erfunden waren. Seit dem 18. Jahrhundert entstand eine Vielzahl von neuheidnischen,
esoterischen und okkultistischen Vereinigungen, die sich allesamt – wenn auch häufig untereinander zerstritten – in einer
Tradition westeuropäischer Spiritualität sahen und dies bis in die Gegenwart fortsetzen.
Die »Rückkehr« der Druiden entpuppt sich damit als Konstrukt der Fantasie, das zwar seinen Ausgangspunkt in den wenigen historischen
Zeugnissen fand, diese aber gehörig anreicherte. Ihre Anhänger glauben an Dimensionen, die weit über die nachweisbare Keltenzeit
hinausreichen und alle Großsteinbauten wie Stonehenge in Südengland und das irische Newgrange für die Druiden vereinnahmen.
Das historische Vorbild der keltischen Priester erweist sich auf diese Weise als Quelle von Spekulationen, die gleichwohl
das neuzeitliche Keltenbild mitprägen.
Archäologische Entdeckungen und die moderne keltische Wiedergeburt
Die Entdeckung und Erschließung des keltischen Erbes auf dem europäischen Festland gelang durch eine wachsende Anzahl von
Funden, die man mit großer Sicherheit dem Kulturkreis der Kelten zuordnen konnte. So gelang es beispielsweise, die eigenartige
und charakteristische Kunst der vormals Barbaren genannten frühen Europäer zu rekonstruieren. Dass das 19. Jahrhundert eine
große Zeit der Archäologie war, bewies der französische Kaiser Napoleon III. durch sein persönliches Interesse an Forschungen
dieser Art. Er veranlasste die Ausgrabungen der Oppida von Bibracte, Gergovia und Alesia, die während Caesars gallischem Krieg
von überragender und schicksalschwerer Bedeutung waren. Der Kaiser zeichnete auch dafür verantwortlich, dass seit 1865 ein
monumentales Denkmal des Vercingetorix über dem Schlachtfeld von Alesia thront, wo das Haupt des gallisches Aufstandes vor
den römischen Legionen kapitulieren musste. Weil man das historische Aussehen des Helden nicht kannte, gab man ihm einfach
die Gesichtszüge des dritten Napoleon.
Die heldenhaft-tragische Gestalt des Vercingetorix bot ohnehin Grund |224| für viele künstlerische und literarische Darstellungen, die natürlich besonders in Frankreich populär waren. Im deutschsprachigen
Raum hat der
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