Die Welt der Kelten
König und dem Hochland-Clan der Douglas im Mittelpunkt. Während der König
versucht, die unbotmäßigen Highland-Bewohner zu unterwerfen, entfaltet sich ein dramatischer Bilderbogen von Kämpfen, Ehre
und großer Liebe. Scott griff auf den mittelalterlichen Arthur-Stoff zurück und drückte dies in dem Titel
Die Dame vom See
aus, womit in den alten Epen eine Fee bezeichnet wurde. Doch wie im
Ossian
begeisterten insbesondere die Schilderungen der schottischen Landschaft und deren gefühlvolle Stimmungen die Leserschaft.
Der Roman
Rob Roy
rühmt einen Freiheitshelden, der schon lange in den Balladen des Volkes besungen wurde: Der Aufrührer vom Clan der Macgregor
erlebt im 18. Jahrhundert Aufstand und Niederlage der gälischen Clans gegen die englischen Truppen. Rob Roy wird zum Straßenräuber,
weil ihm die unbarmherzigen Gläubiger Haus und Hof nahmen. Darum tritt er als schottischer Robin Hood auf, der gegen das Unrecht
der Engländer kämpft, dabei viele Abenteuer besteht, gefangen genommen wird und eine waghalsige Flucht unternimmt. Einem derartigen
Helden flogen nicht nur in den Highlands alle Herzen zu, sondern in ganz Europa.
Allenthalben kannte man nun die aufrechten und tapferen Bewohner des schottischen Hochlands, die gälischen Erben einer großen
Vergangenheit. Wie im 18. Jahrhundert
Ossian
kam zur Zeit der Romantik und darüber hinaus das Schottische in Mode, wofür seitdem stellvertretend der Kilt mit seinen Mustern
steht. Die Clans dienten in ihrer rauen und gleichwohl schönen Heimat zunehmend als Gegenbild zu den Fabrikschloten und Arbeitermassen
der sich besonders in Großbritannien ausbreitenden Industrie. Die Impressionen der Wälder und Berge, der Seen und Inseln verband
man mit einer einzigartigen Stimmung unverfälschter Gefühle, die ihren Ausdruck im Gleichklang von Landschaft, Geschichte
und Menschen fand. Auf diese Weise entdeckte man im 19. Jahrhundert die derart idealisierten Inselkelten als »anderes Ich«,
gewissermaßen als Alternative zum technischen und gesellschaftlichen Fortschritt.
|220| Alice im Wunderland der Cheshire-Katze
Im Gefolge der Romantik mit ihrem starken Interesse an Märchen, Sagen und den Überlieferungen des Mittelalters breitete sich
eine Fülle ursprünglich keltischer Stoffe und Motive aus – von den Geschichten um Arthur und die Tafelrunde bis zu den irischen
Heldenerzählungen, von den walisischen Sagen des so genannten Mabinogion bis zu schottischen Märchen und von den Feengeschichten
der Bretagne bis zu den Geheimnissen um den Zauberer Merlin. Dass die Brüder Grimm Irlands Elfenmärchen entdeckten und übersetzten,
ist beispielhaft dafür, wie sich Figuren und Vorstellungen der inselkeltischen Mythen- und Sagenwelt überall auf den Britischen
Inseln und auf dem europäischen Festland verbreiteten. Die Geschichten von der Anderwelt und ihren Bewohnern, von den Feen,
Elfen, Kobolden und Zauberern beflügelten zusehends die Imagination der Dichter und Dichterinnen, die überdies noch einen
weiteren Aspekt der Überlieferung entdeckten: Die überreiche Fülle des Skurrilen und Absurden wurde neben unlogischen Wortspielen
als herausragendes Kennzeichen des Keltischen und seiner Kunst angesehen – und erfreute sich besonders auf den Britischen
Inseln weit verbreiteter Beliebtheit.
Dort fand es seinen Niederschlag unter anderem in einem der beliebtesten Kinderbücher der Weltliteratur, in
Alice im Wunderland
. Der Oxforder Mathematikdozent Lewis Carroll (1832 –1898) veröffentlichte
Alice’s Adventures in Wonderland
1865 und erzielte damit einen großen Erfolg. Ob er die seltsamen Traumerlebnisse eines kleinen Mädchens bewusst aus keltischen
Traditionen schöpfte, sei dahingestellt – jedenfalls ähneln sie ihnen stark. Alice gerät in eine andere Welt voll Wunderwesen
wie sprechende Tiere und Spielkarten. Den Zugang dazu findet sie durch ein weißes Kaninchen mit roten Augen – in Wales galten
weiß und rot als Kennzeichen von Wesen der Anderwelt –, das eine Uhr aus seiner Westentasche zieht und vor sich hin murmelt:
»Jemine! Jemine! Ich komme bestimmt zu spät.« Alice läuft ihm in den Kaninchenbau nach und fällt einen abgrundtiefen Schacht
hinunter, bis sie schließlich nach langem Fall auf einem Blätterhaufen landet. Schon bald gewöhnt sie sich an ihre Körpergröße,
die sich stets den Verhältnissen anpasst und sie einmal kleiner, das andere Mal größer werden lässt.
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