Die Welt der Kelten
sie |106| sogar Senatoren in Rom werden konnten und zur politischen Führungsschicht des Imperiums aufstiegen.
Doch anscheinend fanden sich die Gallier insgesamt mit Roms Herrschaft ab und entwickelten keinen Widerstand, um wieder in
den alten Verhältnissen zu leben. Zwar hatte man etliche Bräuche verboten: die Kopfjagd, Menschenopfer, nach einigen Jahrzehnten
auch die Druiden, deren Organisation wahrscheinlich als zu politisch eingeschätzt wurde. Andererseits endeten mit der Zugehörigkeit
zum Imperium auch die endlosen und blutigen Fehden zwischen den zahlreichen gallischen Stämmen und ihren Adligen. In der Tat
herrschte nun die Pax Romana, der Frieden innerhalb des Reiches, der nicht gebrochen werden durfte. In dieser Friedensordnung
konnten sich Handel und Wandel entwickeln und die gallischen Provinzen zu Reichtum und Wohlstand führen.
Dies zeigte sich in ganz Gallien, wo allenthalben die Oppida aufgegeben und neue Städte in der Ebene oder im Tal gegründet
wurden – Zentren wie Arles, Orange und Nîmes in der Provence, Bordeaux am Atlantik, Paris an der Seine und Trier an der Mosel,
um nur einige zu nennen. Sie wurden von einem Straßennetz durchzogen, entlang dessen Steinhäuser errichtet wurden. Eine ausgebaute
Kanalisation sorgte für hygienische Verhältnisse, und die Bürger selbst schätzten den erholsamen Besuch in den prächtigen
Thermenanlagen, wo man sich dem Bad, der Körperpflege und dem Müßiggang hingab. Anschließend konnte man in Paris, Lyon oder
Trier ein Theater besuchen oder sich im Amphitheater die Gladiatorenkämpfe anschauen, jene spezifisch römische Art des Menschenopfers,
das nicht verboten war.
Auch das Reisen wurde im römischen Gallien bequemer: Statt der einfachen Wege der Keltenzeit durchzogen ausgebaute Straßen
das ganze Land, an denen Poststationen und Rasthäuser zu einer Pause einluden. Immer noch lebten die meisten Menschen auf
dem Land – in Dörfern, kleinen Landstädten und in den Landhäusern. Solch eine Villa rustica bildete oft das Zentrum riesiger
Latifundien, wo Tagelöhner, Pächter, Kleinbauern und Sklaven ihrer Arbeit nachgingen. Wer es sich leisten konnte, setzte moderne
Geräte wie Räderpflug und Mähmaschinen ein. Oder er investierte in eine der vielen fabrikähnlichen Manufakturen, in denen
Textilien oder Keramik produziert wurden. Diese Güter waren in Rom ebenso begehrt wie Wein, Schinken, Käse oder Gänsedaunen
aus Gallien.
In jahrhundertelangen Friedenszeiten entwickelte sich das Land auf diese Weise zu einer reichen Provinz, in der die römische
Kultur mit ihrer Sprache und ihren Sitten tonangebend war. Erst die Wanderungen der germanischen Stämme sollten im 5. Jahrhundert
diesen Zustand beenden.
|107| Die Schattenseiten der römischen Herrschaft: Unruhen in Gallien
Die blühende Wirtschaft und der hohe Zivilisationsgrad Galliens zeigten allerdings schon bald ihre Schattenseiten. Denn der
römische Fiskus benötigte nicht nur Geld, um Straßen und Wasserleitungen zu bauen und zu unterhalten, ihm war natürlich auch
daran gelegen, möglichst viel Gewinn aus den prosperierenden Provinzen zu schöpfen. Dementsprechend bürdete man den Menschen
eine schwere Last an Steuern und anderen Abgaben auf. So mancher Gallier fand sich in einer hoffnungslosen Schuldenfalle wieder,
und die ohnehin bescheiden lebenden Landarbeiter der Latifundien verarmten zusehends. Deshalb gehörten sie zu den Ersten,
unter denen es schon wenige Jahrzehnte nach der Eroberung Caesars zu Unruhen kam, die jedoch immer recht schnell niedergeschlagen
wurden.
Ein größeres Ausmaß scheint ein Aufstand des Jahres 21 nach Chr. angenommen zu haben, von dem der Historiker Tacitus in seinen
Annalen
berichtet. Danach verbündeten sich der Treverer Julius Florus und der Haeduer Julius Sacrovir, zwei angesehene Männer ihrer
Stämme, um wegen der drückenden Schuldenlast etwas zu unternehmen. Der Römer Tacitus spricht in übelsten Tönen von ihnen und
ihren Anhängern, die er teilweise als kriminelle Elemente bezeichnet. Zudem bezichtigt er sie der Absicht, sie hätten die
Freiheit Galliens wiedergewinnen wollen. Ob Florus und Sacrovir wirklich so weit gehen wollten, ist fraglich. Durchaus glaubwürdig
klingt dagegen, was vom Verlauf der Geschehnisse überliefert wird. Demzufolge hielten die beiden geheime Versammlungen ab,
agitierten aber auch auf Marktplätzen gegen die Last der Schuldzinsen und das hochmütige
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