Die Welt in mir (German Edition)
Doch da sich diese beiden Teile in mir
uneinig waren, beschloss ich Joshs Erklärung oder besser gesagt seinen
bisherigen kläglichen Versuchen weiterhin zuzuhören.
„Stets herrschte ein Kampf um
die Oberhand. Der Versuch, die Welt entweder gut oder böse zu machen, führte
immer ins Chaos, und beide Seiten verloren letztendlich. Denn während die Bösen
immer den Kampf suchten und bereit waren, mit Krieg die Oberhand zu gewinnen,
waren die Guten stets auf der Mission, die Bösen zu bekehren. Sicherlich war
der Kampf schlimm. Aber letztendlich verloren beide Seiten. Die Guten brachten
immer mehr Böse dazu, die Seite zu wechseln. Einige hatten einfach keine Lust
mehr, zu kämpfen. Der ständige Kriegszustand machte sie müde und unmotiviert.
Andere wechselten die Seite, weil sie die Vorteile des Guten erkannten.
Freundschaft, Vertrauen und Frieden. Doch es gab auch bei den Guten ein paar
wenige, die sich entschieden, dass die Bösen es besser hatten. Ihr egoistischer
Lebenswandel und die Aussicht auf ein wohlhabenderes und besseres Leben ließen
sie am Guten zweifeln. Oder aber sie entschieden sich, auf die Gewalt mit
Gegengewalt zu antworten und gaben sich damit zumindest teilweise dem Bösen
hin. In erster Linie war es aber nicht nur der Kampf, der die Machthaber zum
Handeln zwang, sondern das Verwischen der Seiten. Denn immer mehr wurde die
Grenze zwischen den Guten und Bösen unklarer. Auf beiden Seiten lebten
plötzlich welche von der anderen Seite. Ein Zustand, der unsere Welt immer mehr
ins Chaos stürzte. Also entschied man, dass es ein Gleichgewicht geben muss.
Und da kommst du ins Spiel. Du bist dieses Gleichgewicht. Du trägst die Macht
beider Seiten in dir und sorgst dafür, dass beide Seiten stets gleich stark
sind. Man dachte, dass du hier in dieser Welt sicher bist. Aber offenbar ist
dies nicht mehr der Fall. Bevor du jetzt Angst bekommst, sollte ich dir sagen,
dass es letztendlich nicht ganz klar ist. Alex und ich versuchen gerade,
rauszufinden, ob dein Geheimnis noch geschützt ist.“
Statt zu antworten, wirbelten
in meinem Kopf, tausend Dinge durcheinander. Ohne Zweifel war seine Erklärung
sehr ausführlich gewesen, aber deshalb hieß es nicht, dass ich sie für
glaubwürdig halten würde. Eine Parallelwelt und der Kampf zwischen Gut und Böse
klangen einfach nur absurd. Vielleicht wäre eine solche Geschichte gut für
Hollywood oder auch für einen Fantasyroman, aber dies hatte sicherlich nichts
mit meinem Leben zu tun. Ich hätte wohl gemerkt, wenn ich irgendein
Gleichgeweicht gewesen wäre, und es war ganz sicher nicht mein Geheimnis. Ich
hatte kein Geheimnis. Zumindest nichts, außer dass mit dem Diebstahl in der
Kindheit. Nachdem ich das Josh auch erzählt hatte, hatte ich wirklich kein
Geheimnis mehr. Außer vor meiner Mutter, aber das zählte nicht. Ich konnte doch
kein Gleichgewicht für Gut und Böse sein. Und dass mit ‚seiner Welt’ konnte
auch nicht ganz richtig sein. Das war alles großer Blödsinn, den er mir hier
auftischte. Was sollte das eigentlich für eine Masche sein? Wäre ich Jaqui
gewesen, würde ich ihm den Unsinn ohne Zweifel mit Kusshand abnehmen, aber ich war
doch kein Freak, der an Parallelwelten und Gut- und Böse-Machthaber glaubte.
Geschweige denn daran, dass ich das Schicksal seiner Welt in den Händen hielt.
Jetzt mal ehrlich, ging’s noch? Das beruhigende Gefühl, dass Josh sonst in mir
auslöste, war mittlerweile völlig verflogen. Aber es war auch keine Panik, die
mich ergriff, sondern Verwirrtheit und auch etwas Zorn darüber, dass er glaubte,
mich für dumm verkaufen zu können. Wäre Alex jetzt hier gewesen, wäre die
Situation sehr wahrscheinlich schon eskaliert. So wütend wie er mich immer
machte! Schlagartig waren mein Zorn und meine Anspannung verflogen. Auch wenn
es klang, als hätte Josh sich die ganze Sache ausgedacht, blieb aber eine Tatsache,
die nicht von der Hand zu weisen war. Die Gefühle, die sie in mir auslösten. So
verrückt das alles klang, hatte ich doch auch am eigenem Leib erfahren, was sie
mit meinem Inneren anstellten. Wie Josh mich glücklich und auch zufrieden machte
und wie Alex mich nur mit seiner Anwesenheit dazu brachte, mutig zu sein und
meinem Chef die Meinung zu geigen und auch übertrieben zickig auf die
Empfangsdame zu reagieren. Diese Sachen konnte ich nicht ignorieren. Ich hatte
sie gespürt. Ganz klar und deutlich. Doch dies konnte auch eine andere Erklärung
haben, als dass es daran lag, dass ich das Gleichgewicht
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