Die Welt ohne uns
zwanzig Millionen Menschen in Seoul zu ernähren hat, könnten die Pumpen, die sich über alle jahreszeitlichen Notwendigkeiten hinwegsetzen, abgestellt werden. Das Wasser würde zurückkehren und mit ihm die natürliche Tierwelt. »Für Pflanzen und Tiere wäre es eine riesige Erleichterung«, sagt Kyung-Won. »Ein Paradies.«
Wie die DMZ selbst: ein Gebiet tödlicher Konfrontation, das zu einem Zufluchtsort für extrem gefährdete asiatische Tiere wurde. Sogar der fast ausgestorbene Sibirische Tiger soll sich hier verbergen, was allerdings auch reines Wunschdenken sein könnte. Wovon diese jungen Naturforscher träumen, ist genau das, worum es auch ihren Mitstreitern in Polen und Weißrussland geht: ein Kriegsgebiet in einen Friedenspark zu verwandeln. Ein Zusammenschluss internationaler Wissenschaftler, das sogenannte DMZ-Forum, hat die Politiker davon zu überzeugen versucht, dass beide Seiten hier etwas für den Erhalt der einzigen guten Sache tun können, die ihnen gemeinsam ist, ohne das Gesicht zu verlieren.
»Selbst unter Berücksichtigung der kostspieligen Räumung aller Landminen«, so der Harvard-Biologe E. O.Wilson, einer der Gründerväter des Forums, »könnte der Tourismus mehr einbringen als die landwirtschaftliche Nutzung oder die Erschließung als Bauland. In hundert Jahren wird von allen Ereignissen, die sich hier abgespielt haben, der Naturpark das nachhaltigste sein. Er wird sich als das kostbarste Erbe des koreanischen Volkes und als nachahmenswertes Beispiel für die übrige Welt erweisen.«
Das ist eine wunderbare Zukunftsvision, die aber heute schon in Gefahr ist, weil bereits allzu viele Grundstückserschließungen in die DMZ hineinreichen.
»In diesem Jahrhundert«, erklärt E. O. Wilson mit Nachdruck, »werden wir eine Ethik des allmählichen Bevölkerungsrückgangs entwickeln, bis wir eine Welt mit erheblich verminderter menschlicher Einflussnahme haben.« Er sagt das mit der Überzeugung eines Wissenschaftlers, dem so viele Belege für die Widerstandsfähigkeit des Lebens vorliegen, dass er diese ganz selbstverständlich auch für die eigene Art voraussetzt. Doch wenn die Landminen für Touristen geräumt werden können, ist das natürlich auch auf den Grundstücken möglich, auf welche die Immobilienmakler ihre begehrlichen Blicke geworfen haben. Sollte am Ende ein Kompromiss erzielt werden, der so aussieht, dass Siedlungen einen künstlichen Erlebnis-Naturpark umgeben, wird am Ende wahrscheinlich nur noch eine einzige Art in der DMZ leben: unsere eigene.
Es sei denn, die beiden Koreas – eine Halbinsel, die dreimal so groß wie Bayern, aber mit ihren fast 100 Millionen Einwohnern auch mehr als dreimal so dicht besiedelt ist – brechen irgendwann unter der eigenen Bevölkerungsexplosion zusammen. Doch wenn die Menschheit aus irgendeinem Grund vorher verschwindet, könnten einige Sibirische Tiger, so sinniert Wilson, selbst wenn die DMZ zu unbedeutend sein sollte, um zur Erhaltung ihrer Art beizutragen, »im Grenzgebirge zwischen Nordkorea und China überlebt haben«. Und seine Stimme belebt sich, als er beschreibt, wie sie sich vermehren und über Asien ausschwärmen, während die Löwen langsam durch Südeuropa Richtung Norden vorankommen.
»Die verbleibende Megafauna würde sich ungeheuer rasch ausbreiten«, fährt er fort. »Besonders die Fleischfresser. Sie würden kurzen Prozess mit unserem Nutzvieh machen. Nach ein paar hundert Jahren wären nur noch wenige Haustiere übrig. Die Hunde würden verwildern, aber nicht lange überleben: Sie wären einfach nicht konkurrenzfähig. Es gäbe einen gewaltigen Gesundschrumpfungsprozess, der alle Arten beträfe, in deren Entwicklung der Mensch eingegriffen hat.«
Tatsächlich ist E. O. Wilson davon überzeugt, dass alle Arten, an denen der Mensch Verbesserungen vorzunehmen trachtete – denken wir etwa an die aufwendigen Zuchtbemühungen bei Pferden –, zu ihren natürlichen Ursprüngen zurückkehren würden. »Sollten die Pferde tatsächlich überleben, würden sie sich zum Przewalski-Pferd zurückentwickeln – dem einzigen noch verbliebenen echten Wildpferd, das wir auf den mongolischen Steppen antreffen.
Die Pflanzen und Tiere, die der Mensch eigenhändig manipuliert hat, wären nach ein- bis zweihundert Jahren ausgelöscht. Viele andere würden ebenfalls verschwinden, doch es gäbe noch immer Vögel und Säugetiere. Sie wären nur kleiner. Die Welt sähe im Wesentlichen so aus wie vor dem Auftritt der Menschheit. Wie
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