Die Welt ohne uns
unberührte Natur eben.«
14 Die Vogelwelt ohne uns
Was bliebe für die Vögel in einer Welt ohne Menschen? Was bliebe von den Vögeln? 130 der mehr als 10000 Vogelarten – von Kolibris, die weniger als ein Centstück wiegen, bis hin zu den viereinhalb Zentner schweren, flügellosen Moas – sind bislang ausgestorben. Das ist kaum mehr als ein Prozent, fast eine ermutigende Zahl, wären nicht einige dieser Verluste so spektakulär. Moas hatten eine Körpergröße von drei Metern und waren doppelt so schwer wie ein afrikanischer Strauß. Binnen zweihundert Jahren wurden sie von den Polynesiern ausgerottet, die um 1300 n. Chr. die letzte große, von Menschen noch unbewohnte Landmasse unseres Planeten entdeckten – Neuseeland. Als die Europäer 350 Jahre später dorthin gelangten, waren von dieser Vogelart nur noch Knochenhaufen und Maori-Legenden geblieben.
Zu den abgeschlachteten flugunfähigen Vögeln gehört ferner die Dronte auf Mauritius im Indischen Ozean, ein Vogel, der es zu traurigem Ruhm brachte, weil er, obwohl er binnen hundert Jahren von portugiesischen Seeleuten und holländischen Siedlern massenhaft erschlagen und verspeist wurde, sich nie zu fürchten lernte. Da sich die Verbreitung der pinguinähnlichen Riesenalke über große Teile der nördlichen Hemisphäre erstreckte, war die Vernichtung dieser Art eine etwas langwierigere Aufgabe, welche die Jäger aus Skandinavien und Kanada jedoch mit Bravour meisterten. Der Moa-Nalo – eine flügellose, überdimensionierte Ente, die auf Hawaii lebte und sich von Blättern ernährte – starb schon vor langer Zeit aus; wir wissen wenig von ihm, nur wer ihn tötete.
Der spektakulärste Vogelmord aber endete erst vor einem Jahrhundert und ist in seinem Ausmaß noch immer kaum zu begreifen. Die Geschichte der amerikanischen Wandertaube ist so voll schicksalhafter Zeichen und Vorbedeutungen, dass uns schon ein kurzer Blick die Schrift an der Wand zeigt: Nichts von dem, was wir für unbegrenzt halten, dürfte es auch tatsächlich sein.
Lange bevor die Geflügelzuchtfabriken Hühnerbrüste als Massenware zu liefern vermochten, erwies die Natur uns fast den gleichen Dienst in Gestalt der nordamerikanischen Wandertaube. Alle Experten sind sich einig, dass sie einst die häufigste Vogelart auf Erden war. Ihre Schwärme, bis zu 360 Kilometer lang und viele Millionen zählend, reichten von Horizont zu Horizont und verdunkelten buchstäblich den Himmel. Stunden konnten vergehen und es war, als kämen sie überhaupt nicht voran, weil immer neue nachrückten. Größer und viel prachtvoller als die gewöhnlichen Tauben, die unsere Bürgersteige und Denkmäler bekleckern, waren diese dunkelblauen, rosabrüstigen Geschöpfe nach allem, was man hört, eine wahre Delikatesse.
Sie fraßen unvorstellbare Mengen von Eicheln, Bucheckern und Beeren. Die eine Methode, mit der man die Wandertauben vernichtete, bestand darin, sie ihrer Nahrung zu berauben, indem man die bewaldeten östlichen Ebenen der Vereinigten Staaten abholzte, um Nahrungsmittel anzupflanzen. Zur anderen gehörte die Benutzung von Schrotflinten, die ihre Bleikügelchen so streuten, dass sie Dutzende mit einem Schuss vom Himmel holten. Nach 1850, als im Kernland der größte Teil der Wälder in Ackerland verwandelt worden war, wurde die Jagd auf Wandertauben noch leichter, weil sie zu Millionen in den verbliebenen Bäumen schliefen. Täglich trafen in New York und Boston Güterwagen ein, die bis obenhin mit ihnen beladen waren. Als schließlich ersichtlich wurde, dass ihre einst unvorstellbare Zahl schmolz, trieb eine Art Wahnsinn die Jäger, sie noch rascher abzuschlachten, solange es noch welche gab, die man erlegen konnte. 1900 war es dann vorüber. Ein paar bedauernswerte Exemplare vegetierten noch in den Käfigen eines Zoos in Cincinnati dahin, und als man deren wahre Bedeutung erkannte, war es zu spät: Die letzte Wandertaube starb im Jahr 1914.
In den folgenden Jahren wurde das Gleichnis von der Wandertaube häufig bemüht, doch seine Moral wurde nur unzulänglich beherzigt. Ducks Unlimited, eine von Jägern selbst gegründete Umweltschutzbewegung, hat Millionen Hektar Sumpfland gekauft, um sicherzustellen, dass die von ihnen geschätzten Flugwildarten genügend Raum zum Leben und Brüten haben. Doch in dem Jahrhundert, in dem Homo sapiens mehr Erfindungskraft bewies als während seiner gesamten Vorgeschichte, zeigte sich, dass sich die Vogelwelt nicht schützen lässt, indem man sich
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