Die Welt ohne uns
verlöschen, wenn die Übertragungen von einer Milliarde Handygespräche pro Tag aufhören, und mehrere Milliarden mehr Vögel werden ein Jahr später noch am Leben sein. Doch solange wir noch hier sind, bedeuten die Sendemasten nur den Anfang des unbeabsichtigten Massenmordes, den die menschliche Zivilisation an gefiederten Geschöpfen verübt, die wir noch nicht einmal essen.
Ein Mast anderer Art – ein Gerüst aus Stahlgittern, im Durchschnitt 45 Meter hoch und in Abständen von etwa 300 Metern aufgestellt – zieht sich kreuz und quer durch jeden Kontinent mit Ausnahme der Antarktis. Zwischen diesen Gerüsten hängen Aluminium-Überlandleitungen, welche die in Kraftwerken erzeugte Energie unseren Versorgungsnetzen als Hochspannung zuführen. Einige sind siebeneinhalb Zentimeter dick; um Gewicht und Kosten zu sparen, hat man sie ohne jede Isolierung gelassen.
Allein im nordamerikanischen Stromnetz gibt es genügend Kabel, um bis zum Mond, wieder zur Erde zurück und fast noch einmal zum Mond zu gelangen. Als die Wälder abgeholzt wurden, setzten sich die Vögel auch auf Telefon- und Hochspannungsleitungen. Solange sie keinen geschlossenen Stromkreis mit einem anderen Kabel oder dem Erdboden bilden, erhalten sie keinen tödlichen Stromstoß. Leider sind die Spannweiten von Falken, Adlern, Reihern, Flamingos und Kranichen so groß, dass sie mit ihren Flügeln zwei Leitungen gleichzeitig berühren oder einen nichtisolierten Transformator streifen können. Das Ergebnis ist nicht einfach ein elektrischer Schlag. Schnabel und Krallen eines Greifvogels können schmelzen und seine Federn Feuer fangen. Einige in Gefangenschaft aufgewachsene Kalifornische Kondore sind nach ihrer Auswilderung exakt auf diese Weise ums Leben gekommen, ebenso wie Tausende von Weißkopfseeadlern und Steinadlern. Wie Studien im mexikanischen Chihuahua gezeigt haben, wirkt eine neue Generation von Stahlstrommasten wie ein Erdleiter, sodass jetzt auch kleinere Vögel als Kadaver neben den toten Falken und Truthahngeiern am Fuße der Masten landen können.
Andere Untersuchungen lassen darauf schließen, dass mehr Vögel durch die einfache Kollision mit Hochspannungsleitungen als durch Stromstöße umkommen. Doch die größte Gefahr für Zugvögel sind gar nicht die Netze stromführender Kabel, die größte Gefahr erwartet sie in den tropischen Zonen Amerikas und Afrikas. Dort sind so viele Waldgebiete für die Landwirtschaft – deren Erträge großenteils für den Export bestimmt sind – geopfert worden, dass es jedes Jahr weniger Schlafbäume gibt, auf denen sie rasten, und weniger sichere Feuchtgebiete, wo die Wasservögel einen Zwischenhalt einlegen können. Wie im Falle des Klimawandels lässt sich die Wirkung schlecht quantifizieren, doch in Nordamerika und Europa ist die Häufigkeit einiger Singvogelarten seit 1975 um zwei Drittel zurückgegangen.
Ohne Menschen werden solche am Wege liegenden Waldgebiete in wenigen Jahrzehnten ansatzweise zurückkehren. Zwei andere Hauptverursacher des Singvogelverlustes – saurer Regen und Insektizide, mit denen man Mais, Baumwolle und Obstbäume behandelt –, werden augenblicklich entfallen, wenn wir verschwunden sind. Die Erholung der Bestände an Weißkopfseeadlern in Nordamerika nach dem DDT-Verbot lässt Gutes für alle Tiere erhoffen, die sich mit anderen chemischen Restbeständen herumschlagen müssen. Doch während DDT erst bei einer Konzentration von einigen Millionstel Teilen giftig wird, geht von Dioxinen schon eine Gefahr bei nur 90 Billionstel Teilen aus – und die Dioxine könnten bis zum Ende des Lebens selbst in der Umwelt verweilen.
In zwei unabhängigen Studien sind zwei US-Behörden zu dem Ergebnis gekommen, dass 60 bis 80 Millionen Vögel jährlich in Kühlergrills und als blutiger Brei auf Windschutzscheiben von Fahrzeugen enden, die heute auf Highways entlangrasen, wo noch vor hundert Jahren gemächlich Pferdewagen fuhren. Der Hochgeschwindigkeitsverkehr würde natürlich mit uns enden. Doch die schlimmste aller vom Menschen geschaffenen Gefahren für die Vogelwelt ist vollkommen unbeweglich.
Lange bevor unsere Bauwerke zerfallen, sind sie wahrscheinlich schon ohne Fensterscheiben und ein Grund dafür dürften die unfreiwilligen Kamikazeflüge der verschiedensten Vogelarten sein. Für seine Dissertation ließ der Ornithologe Daniel Klem vom While Muhlenberg College Vorstadtbewohner in New York und im Süden von Illinois die Zahl und Arten der Vögel notieren, die in ihre
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