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Die Welt ohne uns

Die Welt ohne uns

Titel: Die Welt ohne uns Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Alan Weisman
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einfach um die Nachhaltigkeit der Vogeljagd bemüht.
     
    Strom
     
    Das Verhalten der Spornammer, eines wenig bekannten Vogels, entspricht nicht ganz dem, was wir von Zugvögeln erwarten. Ihre Sommer- und Brutgebiete liegen weit oben in der Arktis, daher sucht sie zum Überwintern – wenn die bekannteren Singvögel zum Äquator und noch weiter südwärts ziehen – lediglich die Prärien Kanadas und der Vereinigten Staaten auf.
    Spornammern sind hübsche, finkengroße Vögel mit weißen Halbmasken und rostbraunen Flecken auf den Flügeln und im Nacken, aber meist erblickt man sie nur aus der Ferne: Hunderte von schemenhaften, kleinen Vögeln, die im Winterwind über die Prärie flattern oder auf Äckern picken. Doch am Morgen des 23. Januars 1998 waren sie in Syracuse, Kansas, bequem in Augenschein zu nehmen, denn fast 10000 von ihnen lagen tot am Boden. Am Vorabend war ein Schwarm von ihnen während eines Sturms in eine Gruppe von Sendemasten geflogen. Bei Nebel und Schneetreiben waren nur die roten Blinklichter zu erkennen gewesen, und offenbar hatten die Spornammern auf sie zugehalten.
    Weder die Umstände noch die Menge der toten Vögel waren besonders ungewöhnlich, obwohl die Zahl der Opfer für einen einzigen Abend möglicherweise doch ein bisschen hoch war. Berichte über tote Vögel, die sich am Fuße von Sendemasten häuften, ließen die Ornithologen schon in den fünfziger Jahren aufhorchen. In den achtziger Jahren ging man von 2500 toten Vögeln pro Mast und Jahr aus.
    Im Jahr 2000 berichtete der US Fish and Wildlife Service, dass 77000 Sendemasten höher als 60 Meter seien und daher mit Warnlichtern für Flugzeuge ausgerüstet werden müssten. Wenn die Berechnungen stimmten, folgte daraus, dass jährlich fast 200 Millionen Vögel allein in den Vereinigten Staaten tödliche Zusammenstöße mit Sendemasten erlitten. Tatsächlich waren diese Zahlen schon überholt, weil in rasendem Tempo Mobilfunkmasten errichtet wurden; 2005 gab es in den USA 175000. Wenn man sie hinzurechnet, steigt die Zahl der auf diese Weise getöteten Vögel auf eine halbe Milliarde – wobei zu bedenken ist, dass auch diese Zahl auf lückenhaften Daten und Vermutungen basiert, weil die meisten gefiederten Opfer zur Beute von Aasfressern werden, bevor sie gefunden werden können.
    Aus ornithologischen Instituten östlich und westlich des Mississippi wurden Studenten auf schaurige Nachtexkursionen zu Sendemasten geschickt, um Vogelkadaver einzusammeln: Rotaugenvireos, Brauenwaldsänger, Orangenfleck-Waldsänger, Kletterwaldsänger, Piperwaldsänger, Walddrosseln, Gelbschnabelkuckucke ... Die Listen wurden zu einem immer vollständigeren Verzeichnis der nordamerikanischen Vögel, einschließlich seltener Arten wie dem Kokardenspecht. Auffällig oft vertreten waren Zugvögel und ganz besonders diejenigen, die nachts unterwegs sind.
    Einer ist der Reisstärling, ein Prärievogel mit schwarzer Brust und hellerem Rücken, der in Argentinien überwintert. Als sich der Vogelphysiologe Robert Beason mit den Augen und dem Gehirn dieser Art beschäftigte, entdeckte er evolutionäre Merkmale, die sich im Zeitalter elektronischer Kommunikationstechnik unglücklicherweise als letal erweisen. Reisstärlinge und andere Zugvögel verfügen über eingebaute Kompasse – winzige Magnetitteilchen im Kopf, mit deren Hilfe sie sich am Magnetfeld der Erde ausrichten. Der Mechanismus zur Aktivierung des Kompasses ist mit ihrem Sehsystem gekoppelt. Das kurzwellige Ende des Spektrums – Violett, Blau und Grün – scheint nützliche Orientierungsreize auszulösen. Wenn nur die längeren roten Wellen ausgestrahlt werden, verlieren die Tiere die Orientierung.
    Ferner lassen Beasons Beobachtungen darauf schließen, dass Zugvögel bei schlechtem Wetter instinktiv veranlasst werden, auf helles Licht zuzufliegen. Vor der Nutzung der Elektrizität war das der Mond; wenn sie auf ihn zuhielten, entfernten sie sich von dem gefährlichen Wetter. Daher wirkt ein blinkender Sendemast, der in einen roten Schein getaucht ist, wenn Nebel oder Schneesturm alles andere verhüllen, so verführerisch und tödlich für sie wie einst der Gesang der Sirenen auf griechische Seefahrer. Da die Navigationsmagneten der Zugvögel von den elektromagnetischen Feldern eines Senders völlig durcheinandergebracht werden, umkreisen sie schließlich hilflos die Masten, deren Spannseile zu den Schneiden eines riesigen Vogelmixers werden.
    In einer Welt ohne Menschen werden die roten Lichter

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