Die Welt ohne uns
Plastiktüten handelte.
Nur zwei Jahre zuvor hatte Moore die Geschäfte seiner Möbelfirma abgegeben. Der langjährige Surfer, auf dessen Kopf sich noch kein graues Haar zeigt, hatte sich das Boot selbst gebaut und sich auf einen abwechslungsreichen, aktiven Ruhestand eingerichtet. Der stolze Besitzer eines Schiffsführerscheins der amerikanischen Küstenwache und selbst Sohn eines leidenschaftlichen Seglers gründete eine Umweltgruppe, die sich speziell um die Belange des Meeres kümmerte. Nach der unheimlichen Begegnung mit dem großen Müllstrudel mitten auf dem Pazifik entwickelte sich seine Gruppe sprunghaft zur Algita Marine Research Foundation, die sich ganz dem Kampf gegen das Treibgut eines halben Jahrhunderts verschrieben hat, das zu neunzig Prozent aus Kunststoff besteht.
Besonders verblüfft war Charles Moore, als er erfuhr, woher der Müll kam. 1975 hatte die National Academy of Sciences der Vereinigten Staaten geschätzt, dass auf allen seegehenden Schiffen insgesamt jährlich mehr als dreieinhalb Millionen Kilogramm Kunststoff über Bord geworfen werden. Jüngere Untersuchungen zeigen, dass die Welthandelsflotte allein täglich rund 639000 Plastikbehälter auf diesem schändlichen Wege entsorgt. Doch der Müll aller Handels- und Kriegsschiffe ist nur ein winziger Bruchteil dessen, was von den Küsten stammt.
Der wahre Grund, warum die Deponien nicht von Kunststoff überquellen, liegt, wie er herausfand, darin, dass die meisten Plastikobjekte auf dem riesigen ozeanischen Müllplatz landen. Nachdem er einige Jahre lang Proben im Subtropischen Nordpazifik-Wirbel entnommen hatte, gelangte Moore zu dem Schluss, dass achtzig Prozent des Treibguts auf dem Festland fortgeworfen wurden. Der Wind hatte es von Müllwagen oder Deponien geweht, es war auf dem Bahntransport von Containern gefallen, in Abwasserkanäle gespült worden oder war Flüsse hinabgeschwommen – stets aber hatte es seinen Weg zu diesem stetig wachsenden Müllstrudel gefunden.
»Hier«, so Skipper Moore, »landen alle Dinge, die von den Flüssen ins Meer getragen werden.« Es ist das Gleiche, was Geologen ihren Studenten seit den Anfängen ihrer Disziplin erzählen, wenn sie die unerbittlichen Prozesse der Erosion beschreiben, die Berge zu Salzen zersetzen und in so winzige Körnchen zerlegen, dass sie ins Meer gespült werden können, wo sie absinken und die Schichten neuer Gesteine einer fernen Zukunft bilden. Moore spricht allerdings von einer Form des Stofftransports und der Ablagerung, welche die Erde in den fünf Milliarden Jahren ihrer bisherigen Geschichte noch nicht kannte – die aus ihrer Zukunft aber wohl kaum fortzudenken ist.
Bei seiner ersten 1500 Kilometer langen Querung des Wirbels errechnete Moore ein halbes Pfund Müll pro 100 Quadratmeter Wasserfläche und kam auf ein Gesamtgewicht von drei Millionen Tonnen Kunststoff. Wie sich herausstellte, wurden seine Schätzungen von Berechnungen der US Navy bestätigt. Das war die Erste von vielen bestürzenden Zahlen, auf die er stoßen sollte. Und sie betraf nur die sichtbaren Kunststoffe: Eine unbestimmte Menge größerer Teile setzte so viele Algen und Muscheln an, dass sie sank. 1998 kehrte Moore mit einer ähnlichen Schleppvorrichtung zurück, wie sie Sir Alistair Hardy für die Probenentnahme von Krill verwendet hatte, und gelangte zu dem unglaublichen Ergebnis, dass es an der Meeresoberfläche vom Gewicht her mehr Kunststoff als Plankton gab – weit mehr sogar: sechs Mal so viel.
Als er Proben in den pazifischen Mündungsgebieten der kleinen Wasserläufe von Los Angeles entnahm, wuchsen die Zahlen sogar um das Hundertfache und stiegen jedes Jahr weiter. Nun verglich er seine Daten mit denen des Meeresbiologen Richard Thompson von der University of Plymouth. Wie dieser war er vor allem über die Plastiktüten und das allgegenwärtige Kunststoffgranulat entsetzt. Allein in Indien gab es 5000 Fertigungsstätten für Plastiktüten. Kenia stellte 4000 Tonnen Kunststofftragetaschen pro Monat her, ohne irgendwelche Möglichkeiten zum Recycling zu haben.
Was die kleinen Pellets angeht, die als Ausgangsmaterial für die Kunststofffabrikation dienen, so wurden jährlich 5,5 Billiarden hergestellt – rund 110 Milliarden Kilogramm. Moore fand sie nicht nur überall im Wasser, sondern erkannte die winzigen Plastikpartikel auch in den durchsichtigen Körpern von Quallen und Manteltieren, den häufigsten und am weitesten verbreiteten Filtrierern unter den Meerestieren. Wie
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