Die Welt ohne uns
identifiziert – Spielarten von Acryl, Nylon, Polyester, Polyethylen, Polypropylen und Polyvinylchlorid. Er wusste nur eines – schon bald würden alle Lebewesen sie fressen.
»Wenn sie so fein wie Pulver werden, kann selbst Zooplankton sie verschlucken.«
Zwei Verursacher solcher winziger Kunststoffteilchen hatte Thompson schon vorher entdeckt. Plastiktüten verstopfen alles, egal ob es sich um Abflussrohre oder Speiseröhren von Meeresschildkröten handelt, die sie mit Quallen verwechseln. In wachsender Zahl werden angeblich biologisch abbaubare Kunststoffe angeboten. Thompsons Forschungsgruppe hat sie getestet. Die meisten erwiesen sich lediglich als eine Mischung aus Zellulose und einfachen Polymeren. Nach Abbau der Zellulosemoleküle blieben Tausende von transparenten, fast unsichtbaren Kunststoffteilchen übrig.
Einige Hersteller von Plastiktüten werben damit, dass ihre Erzeugnisse in Komposthaufen abgebaut werden, wenn die durch den Zerfall organischen Abfalls erzeugte Wärme 38 Grad Celsius übersteigt. »Mag sein, aber das gilt nicht für den Strand oder Salzwasser.« Das weiß Thompson, seit er Kunststofftragetaschen an Pollern in Plymouth Harbour befestigt hat. »Nach einem Jahr hätte man noch immer seine Einkäufe in ihnen davontragen können.«
Noch entmutigender ist eine Entdeckung seines Doktoranden Mark Browne. Browne öffnet die oberste Schublade eines Laborschranks. Darin befindet sich eine Fülle von Kosmetika: Bodylotions, Peelings, Handreiniger und Zahnpasten. Einige sind regionale Marken, andere international vertriebene Produkte, einige gibt es in den Vereinigten Staaten, andere nur in Großbritannien. Eines aber haben sie alle gemeinsam.
»Exfolianten: kleine Körnchen, die beim Baden die Haut massieren.« Er sucht eine pfirsichfarbene Tube Peelingcreme heraus; auf dem Etikett steht zu lesen, dass es sich um hundertprozentig natürliche Exfolianten handelt. »Das Zeug ist okay. Die Körnchen sind zermahlene Jojobasamen und Walnussschalen.« Andere Hersteller von Naturprodukten verwenden Weinbeerenkerne, Aprikosenschalen, Hagelzucker oder Meersalz. »Alle anderen«, sagt er mit einer umfassenden Handbewegung, »sind zu Plastik übergegangen.«
Bei ihnen allen finden sich unter den aufgelisteten Bestandteilen Eintragungen wie »mikroskopisch feine Polyethylenkörnchen«, »Polyethylenmikrokügelchen«, »Polyethylenperlen« oder einfach »Polyethylen«.
»Ist das zu glauben? Sie verkaufen Plastik, das direkt ins Abwasser gehen soll, in die Flüsse und von dort ins Meer. Mundgerechte Bissen für die winzigen Lebewesen im Meer.«
Kunststoffteilchen werden auch zunehmend verwendet, um alte Farbe von Booten und Flugzeugen zu schleifen. Thompson schaudert. »Man fragt sich doch, wo die mit Farbrückständen belasteten Plastikperlen entsorgt werden. Es dürfte schwierig sein, sie an einem windigen Tag unter Kontrolle zu halten. Doch selbst wenn das gelingt, es gibt in Kläranlagen keine Filter für so feine Stoffe. So landen sie unausweichlich in der Umwelt.«
Durch Brownes Mikroskop betrachtet er eine Probe aus Finnland. Eine vereinzelte grüne Faser, vermutlich von einer Pflanze, liegt quer über drei hellblauen Fäden, die wahrscheinlich nichtpflanzlichen Ursprungs sind. »Sehen Sie es einmal so: Stellen Sie sich vor, alle menschlichen Aktivitäten kämen morgen zum Stillstand und es gäbe plötzlich niemanden mehr, der noch Kunststoff herstellte. Allein die Menge dessen, was gegenwärtig vorhanden ist, und die Art und Weise, wie die Fragmentierung voranschreitet, würden dafür sorgen, dass die Organismen endlos mit ihnen zu schaffen hätten. Jahrtausende möglicherweise. Oder länger.«
In gewissem Sinne gibt es Kunststoff schon seit Jahrmillionen. Kunststoffe sind Polymere: einfache Molekülstrukturen aus Kohlenstoff- und Wasserstoffatomen, die sich zu Ketten zusammenschließen. Schon vor dem Karbon, vor über 350 Millionen Jahren, woben Spinnen ihre Netze aus Polymerfasern, später entwickelten sich Bäume und begannen Zellulose und Lignin zu produzieren, auch natürliche Polymere. Baumwolle und Gummi gehören ebenfalls zu den Polymeren. Sogar wir selbst stellen sie in Form des Kollagens her, das unter anderem in unseren Fingernägeln enthalten ist.
Ein anderes natürliches und formbares Polymer, das unserem Begriff von Kunststoff sehr nahekommt, ist das Sekret der asiatischen Lackschildlaus, ein Stoff, den wir als Schellack kennen. Es war die Suche nach einem synthetischen
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