Die Welt ohne uns
Schellackersatz, die den Chemiker Leo Baekeland eines Tages veranlasste, in seiner Garage in Yonkers, New York, Karbolsäure – Phenol – mit Formaldehyd zu mischen. Bis dahin war Schellack die einzige Ummantelung für elektrische Kabel und Verbindungen gewesen. Das gut formbare Resultat dieses Garagenexperiments war das Bakelit. Baekeland wurde wohlhabend und die Welt nie wieder das, was sie einmal war.
Schon bald begannen die Chemiker, die langen Kohlenwasserstoffketten des Rohöls in kürzere aufzuspalten und die neu entstandenen Stoffe zu mischen, um zu sehen, wie sich Baekelands erster Kunststoff modifizieren ließ. Die Zugabe von Chlor ergab ein robustes, festes Polymer, das keinem natürlichen Stoff ähnelte. Heute heißt es PVC. Wenn man ein anderes Polymer während seines Entstehungsprozesses mit Gas aufschäumt, bilden sich feste, miteinander verbundene Blasen. Diesen Schaumstoff bezeichnet man als Polystyrol, besser bekannt unter seinem Markennamen Styropor. Das nachhaltige Verlangen nach künstlicher Seide führte schließlich zur Entwicklung des Nylons. Die Nylonstrümpfe bewirkten eine Revolution der Textilindustrie und sorgten dafür, dass Kunststoffe allgemein als eine Bereicherung des modernen Lebens empfunden wurden. Im Zweiten Weltkrieg wurden Nylon und andere Kunststoffe zu kriegswichtigem Material erklärt, was zu einer entprechenden Verknappung führte und gleichzeitig das Verlangen der Menschen nach diesen Stoffen noch steigerte.
Nach 1945 überschwemmte eine Flut von Produkten, welche die Welt noch nie gesehen hatte, die Konsumgütermärkte: Textilien aus Acryl, Plexiglas, Polyethylenflaschen, Polypropylenbehälter und Spielzeuge aus Polyurethan, »Schaumgummi«. Die größte Veränderung überhaupt aber brachte das durchsichtige Verpackungsmaterial, einschließlich der selbsthaftenden Folien aus Polyvinylchlorid und Polyethylen, die unsere Nahrungsmittel länger frisch halten, als es jemals zuvor möglich war.
Binnen zehn Jahren zeigten sich die Schattenseiten dieser Wundersubstanz. Das Life Magazine prägte den Begriff der »Wegwerfgesellschaft«, obwohl der Gedanke, Müll wegzuwerfen, kaum neu war. Seit Urzeiten verfuhren die Menschen so mit den übrig gebliebenen Knochen ihrer Fleischmahlzeiten und der Spreu ihrer Ernten – Reste, deren sich dann andere Organismen annahmen. Als künstlich hergestellte Dinge in den Abfallkreislauf gelangten, hielt man sie zunächst für weniger unangenehm als die stark riechenden organischen Abfälle. Der Schutt von Ziegeln und Tongefäßen wurde als Füllmaterial für die Bauwerke kommender Generationen verwendet. Ausgemusterte Kleidungsstücke wurden von Lumpensammlern weiterverkauft oder zu neuen Geweben recycelt. Defekte Maschinen, die auf Schrottplätzen landeten, konnten ausgeschlachtet oder auf wunderbare Weise in neue Erfindungen verwandelt werden. Metallteile jeder Größe ließen sich einfach einschmelzen und zur Herstellung ganz anderer Dinge verwenden. Die Ausgangsmaterialien für den Zweiten Weltkrieg fanden sich – zumindest soweit es den See- und Luftkrieg der USA gegen Japan betraf – buchstäblich auf amerikanischen Schrotthaufen.
Der Archäologe William Rathje von der Stanford University, der seine beruflichen Erfolge der Untersuchung amerikanischen Mülls verdankt, ist fortwährend damit beschäftigt, den Verantwortlichen für Abfallbeseitigung und der breiten Öffentlichkeit eine Ansicht auszureden, die er für einen Irrglauben hält: dass die Kunststoffe für das Überquellen der Deponien überall im Lande verantwortlich seien. Rathjes Jahrzehnte währendes Müllprojekt, in dessen Verlauf Studenten wochenlang den in Wohngebieten anfallenden Hausmüll wogen und auswerteten, führte in den achtziger Jahren zu der Erkenntnis, dass Kunststoffe im Gegensatz zur landläufigen Meinung am Volumen gemessen weniger als 20 Prozent des vergrabenen Müllvolumens ausmachen, zum Teil weil sie sich dichter zusammenpressen lassen als andere Abfälle. Obwohl inzwischen prozentual mehr Kunststoffartikel hergestellt werden, erwartet Rathje nicht, dass sich die Verhältnisse verändern, weil sich bessere Produktionstechniken mit weniger Kunststoff pro Plastikflasche oder Wegwerfpackung begnügen.
Die Mehrzahl dessen, was auf Deponien landet, sind laut Rathje Bauschutt und Papiererzeugnisse. Zeitungen, so behauptet er und widerlegt damit einen weiteren öffentlichen Mythos, werden nicht auf biologischem Wege abgebaut, wenn sie unter Luft- und
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