Die Welt ohne uns
Wasserabschluss begraben liegen. »Deshalb haben wir auch noch die 3000 Jahre alten Papyrusrollen der Ägypter. Aus Mülldeponien der dreißiger Jahre holen wir heute noch absolut lesbare Zeitungen hervor. Die bleiben da unten noch 10000 Jahre erhalten.«
Allerdings verkörpern seiner Ansicht nach gerade Kunststoffe die Schuldgefühle, die wir haben, weil wir die Umwelt mit unserem Müll belasten. Irgendwie hat Kunststoff etwas beklemmend Dauerhaftes, im Gegensatz etwa zu einer Zeitung auf der Straße, der wir beim Zerfall zusehen können:
Sie wird vom Wind zerfetzt, im Sonnenlicht brüchig und löst sich im Regen auf.
Was mit Kunststoff geschieht, zeigt sich jedoch am deutlichsten dort, wo es keine Müllabfuhr gibt. Seit 1000 Jahren wird das Gebiet des heutigen Hopi-Reservats in Nordarizona ständig von Menschen bewohnt – länger als irgendein anderes Gebiet in den Vereinigten Staaten. Die wichtigsten Hopi-Dörfer liegen auf drei Tafelbergen, von denen aus man einen Rundblick auf die umgebende Wüste hat. Seit Jahrhunderten warfen die Hopi-Indianer ihren Abfall, der aus Nahrungsresten und Tonscherben bestand, einfach in die Tiefe. Kojoten und Geier kümmerten sich um die Küchenabfälle, und die Tonscherben vermischten sich wieder mit dem Boden, aus dem sie kamen.
Das klappte hervorragend bis zur Mitte des 20. Jahrhunderts. Dann verschwand der Müll, der über den Plateaurand geworfen wurde, plötzlich nicht mehr. Unübersehbar waren die Hopi jetzt von einem wachsenden Haufen einer neuen, naturresistenten Abfallart umgeben. Verschwinden konnte sie nur, wenn ein Wind sie in die Wüste hinauswehte. Aber auch dort war sie noch vorhanden und hing in Salbei- und Mesquitesträuchern oder aufgespießt auf Kaktusstacheln.
Südlich der Hopi-Mesas erhebt sich der fast 4000 Meter hohe Gebirgszug der San Francisco Peaks, wo unter Espen und Douglasien die Hopi- und Navajo-Götter zu Hause sind: heilige Berge, die sich jeden Winter in reinigendes Weiß hüllten – nur in den letzten Jahren nicht mehr, weil Schnee hier nur noch selten fällt. Östlich der San Francisco Peaks liegen die noch höheren Rockies; westlich von ihnen befinden sich die Sierra Madres, deren vulkanische Gipfel noch höher aufragen. Unvorstellbar, dass alle diese gewaltigen Berge eines Tages ins Meer gewaschen werden – Gesteinsblöcke, Felsnasen, Bergsättel, Gipfel, Canyonwände, alles. Jede massive Auffaltung wird zu Staub werden, mit ihren Mineralien zum Salzgehalt der Ozeane beitragen und mit der Vielfalt der Nährstoffe in ihren Böden eine neue Entwicklungsphase marinen Lebens einleiten, während die letzte unter ihren Sedimenten verschwindet.
Doch lange vor diesen Ablagerungen wird ein Stoff, der viel leichter ist und müheloser seewärts transportiert werden kann als Gestein oder auch Schlammteilchen, diesen Weg antreten.
Das erfuhr auch Skipper Charles Moore aus Long Beach in Kalifornien eines schönen Tages im Jahr 1997, als er von Honolulu kommend mit seinem aluminiumverplankten Katamaran einen Teil des Westpazifiks ansteuerte, den er bislang immer gemieden hatte. Dieses Seegebiet zwischen Hawaii und Kalifornien, gelegentlich als Rossbreiten bezeichnet, ist etwa so groß wie Texas und wird von Seglern selten befahren, weil es ständig unter dem Einfluss eines langsam zirkulierenden Hochdruckwirbels warmer Äquatorluft liegt, der kaum einmal ein leises Lüftchen aufkommen lässt. Das Wasser in diesen Breiten kreist träge im Uhrzeigersinn und weist in der Mitte eine Flaute auf.
Die korrekte Bezeichnung lautet Subtropischer Nordpazifik-Wirbel, obwohl Moore bald erfuhr, dass Ozeanografen eine andere Bezeichnung für ihn haben: großer pazifischer Müllstrudel. Charles Moore war auf eine ozeanische Deponie geraten, auf der praktisch alles landet, was von der Hälfte der Pazifik-Anrainerstaaten ins Wasser gelangt und sich, von der langsamen spiralförmigen Strömung getragen, dieser grausigen Ansammlung industrieller Ausscheidungen hinzugesellt. Eine Woche brauchten Moore und seine Besatzung, um ein Seegebiet von den Ausmaßen eines kleinen Kontinents zu durchqueren, das mit schwimmendem Abfall bedeckt war. Ihr Boot war wie ein Schiff, das sich durch die Eisschollen der Arktis pflügt, nur dass es sich bei den Dingen, die hier auf den Wellen dümpelten, um Becher, Flaschenverschlüsse, verknäulte Fischernetze und Angelschnüre, Bruchstücke von Polystyrolverpackungen, Sixpackringe, benutzte Kondome, Frischhaltefolie und unzählige
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