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Die Welt ohne uns

Die Welt ohne uns

Titel: Die Welt ohne uns Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Alan Weisman
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Schulabschluss hier an zu arbeiten und jetzt ist sein Haar weiß. Seit mehr als dreißig Jahren betreut er Experimente, die vor seiner Geburt begonnen wurden. Ihm gefällt der Gedanke, dass sie noch lange weitergehen werden, wenn er selbst schon längst zu Staub und Erde geworden ist. Doch eines Tages, das weiß er genau, wird die üppige grüne Wildnis unter seinen Gummistiefeln das einzige Rothamsted-Experiment sein, das übrig geblieben ist.
    Es ist auch das Einzige, das nicht betreut werden muss. 1882 zäunten Lawes und Gilbert von Broadbalk – dem Winterweizenfeld, das abwechselnd mit anorganischem Phosphat, Stickstoff, Kalium, Magnesium und Natrium gedüngt worden war – einen knappen Morgen ab und ernteten das Getreide nicht mehr. Im folgenden Jahr wuchs nach Selbstaussaat eine neue Weizenernte heran. Im Jahr danach geschah das Gleiche, obwohl jetzt Herkulesstaude und Sumpfziest mit dem Weizen konkurrierten.
    1886 wuchsen nur noch drei verkümmerte, kaum noch erkennbare Weizenhalme. Stattdessen sah man eine stattliche Fläche Flechtstraußgras, das Ganze übersät von gelben Wildblumen, darunter die orchideenartigen Wiesenplatterbsen. Im folgenden Jahr war der Weizen – diese robuste nahöstliche Getreidepflanze, die hier schon vor Ankunft der Römer angebaut wurde – vollkommen von den zurückkehrenden einheimischen Pflanzen verdrängt worden.
    Um diese Zeit gaben Lawes und Gilbert Geescroft auf, eine gut hektargroße Parzelle, die etwa 800 Meter weit entfernt lag. In der Zeit zwischen den 1840er und 1870er Jahren hatten sie dort Bohnen angepflanzt, doch nach dreißig Jahren war deutlich geworden, dass der Anbau von Bohnen ohne Fruchtwechsel auch mit chemischer Hilfestellung nicht klappte. Einige Jahre lang säte man auf Geescroft Rotklee aus. Dann wurde es wie Broadbalk eingezäunt und sich selbst überlassen.
    Vor Beginn der Rothamsted-Experimente war auf Broadbalk mindestens zwei Jahrhunderte lang der örtliche Kalk gestreut worden, doch das galt offenbar nicht für das tief gelegene Geescroft, das ohne Entwässerungsgraben schwer zu bestellen war. In den Jahrzehnten nach der Aufgabe der Parzelle versauerte Geescrofts Boden immer mehr. In Broadbalk, wo diesem Effekt durch jahrelange Kalkzugabe entgegengewirkt worden war, ging der pH-Wert kaum zurück. Dort tauchten Wucherpflanzen wie Vogelmiere und Brennnesseln auf und im Laufe von zehn Jahren zeigten sich auch Haselnuss-, Weißdorn-, Eschen- und Eichensämlinge.
    Geescroft dagegen blieb im Wesentlichen Grasland, bestanden mit Knäuelgras, Rot- und Wiesenschwingel, Flechtstraußgras und Rasenschmiele. Erst nach dreißig Jahren begannen Bäume und Sträucher die offenen Flächen zu beschatten. In dieser Zeit war der Bewuchs auf Broadbalk hoch und dicht geworden. Bis 1915 kamen mehr als zehn Baumtypen hinzu, darunter Feldahorn und Ulme, außerdem Brombeerdickichte und ein dunkelgrüner Efeuteppich.
    Im Lauf des 20. Jahrhunderts setzten die beiden Ackerparzellen ihre Verwandlung in Waldland jede für sich fort, wobei sich die Unterschiede zwischen ihnen verstärkten und ihre unterschiedliche Geschichte umso deutlicher widerspiegelten, je weiter sie sich entwickelten. Sie hießen fortan die Broadbalk- und die Geescroft-Wildnis – scheinbar anspruchsvolle Bezeichnungen für Parzellen, die insgesamt keine anderthalb Hektar groß waren, doch vielleicht ganz passend in einem Land, in dem nur noch ein Prozent der ursprünglichen Waldgebiete erhalten geblieben sind.
    1938 wuchsen Weiden rund um Broadbalk, die später durch Stachelbeeren und die Gemeine Eibe ersetzt wurden. »Hier in Geescroft«, sagt Paul Poulton und befreit seine Regenjacke, die sich in einem Beerenstrauch verfangen hat, »gab es nichts dergleichen. Doch plötzlich, vor vierzig Jahren, tauchten hier die ersten Stechpalmen auf. Jetzt haben sie alles überwuchert. Keine Ahnung, warum.«
    Einige der Stechpalmensträucher sind baumhoch. Anders als in Broadbalk, wo sich Efeu an jedem Weißdornstamm emporwindet und den Waldboden überwuchert, gibt es keine Bodendecker, vom Gestrüpp abgesehen. Die Gräser und Unkräuter, die zunächst das brachliegende Geescroft in Besitz nahmen, sind jetzt vollständig verschwunden, eingegangen im Schatten der Eichen, die saure Böden mögen. Infolge der ständigen Aussaat von stickstoffbindenden Hülsenfrüchtlern, der Stickstoffdüngung und jahrzehntelanger saurer Niederschläge ist Geescroft ein klassisches Beispiel für erschöpften Boden, versauert und

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