Die Weltgeschichte der Pflanzen
derVerwechslungsgefahr der beiden Pflanzen. Gewöhnlicher Hanf hat als Nutzpflanze wegen der Fasern für Gewebe und Papier eine Jahrtausende zurückreichende Geschichte, und anscheinend hat lange Zeit niemand etwas von den weiteren besonderen Eigenschaften bemerkt, weder in Asien noch in Europa, wo Hanf bis zum Siegeszug der Baumwolltextilien im 19. Jahrhundert weit verbreitet war.
In der Frühantike, im letzten Jahrtausend vor der Zeitenwende, war die betäubende Wirkung des Indischen Hanfs jedoch bereits bekannt. Das lässt sich heiligen Schriften sowohl aus dem frühen Persien wie Indiens entnehmen. Auch Skythen, Thraker und Kelten kannten sie. Wahrscheinlich ist die Verwendung in schamanistischen Praktiken dieser Völker. Sie könnten Cannabis in offenes Feuer geworfen und den Rauch inhaliert oder Cannabis gegessen haben. Darüber gibt es Aufzeichnungen (zum Beispiel bei Herodot) und (Grab-)Funde bis ins Altai-Gebirge. Die Assyrer hatten den Gebrauch der Cannabis-Pflanze von den Ariern kennengelernt und nannten die Prozedur qunubu , was so viel bedeutet wie »Rauch erzeugen«, davon stammt wohl der Name der Pflanze ab; in einer langen Sprachentwicklug wurde aus qunubu »Hanf«. Von den Steppenvölkern haben sowohl die Griechen wie die Kelten und Germanen das Wort vor 500 v. Chr. direkt entlehnt.
Im Orient, von Indien bis in die islamische Welt Nordafrikas, ist die Tradition des Haschisch-Rauchens stets lebendig geblieben. In Europa wusste man davon nichts. Es war wohl der französische Arzt Jacques-Joseph Moreau (1804-1884), der auf einer Orientreise das Haschisch für Europa »wiederentdeckte« und sich für seine bewusstseinsverändernden Effekte interessierte.
Gemeinsam mit dem Schriftsteller Théophile Gautier gründete er 1844 einen Haschisch-Klub in Paris, zu dem namhafte Künstler und Intellektuelle zählten. Die Klubmitglieder trafen sich in der gemeinsamen Wohnung von Gautier und Charles Baudelaire mitten in der Stadt auf der Île St-Louis, nur einen Steinwurf von Notre-Dame entfernt und »experimentierten« mit der Droge.
Zum Club gehörten ferner die Schriftsteller Alexandre Dumas, Gérard de Nerval und der Maler Eugène Delacroix. Gautier ist bekannt für das von ihm geprägte Motto L’art pour l’art ; Baudelaire begann in dieser Zeit mit der Niederschrift seines berühmtesten Gedichtbandes Die Blumen des Bösen ( Les Fleurs du Mal ) und schrieb über seine Drogenerfahrungen mit Haschisch und Opium außerdem Die künstlichen Paradiese (Les paradis artificiels) . Die Gruppe war ein Prototyp jener Pariser Bohème des 19. Jahrhunderts von »unangepassten« Künstlern und Intellektuellen.
Der Arzt Jacques-Joseph Moreau verfasste erstmals ein systematisches Werk über die Wirkung von Drogen auf das Zentralnervensystem. Erst damals fing man an zu begreifen, welche Bedeutung das Gehirn für die Steuerung körperlicher Funktionen hat und begann zu ahnen, dass Seele und Geist damit verknüpft sind und ein gewisses eigenständiges Seelenleben haben. Bis dahin glaubte man in dieser Hinsicht eher an »Körpersäfte« wie die »schwarze Galle« (griechisch melan cholé ), worauf man depressive Verstimmungen zurückführte, oder »Schleim« (griechisch phlegma ), was man für Trägheit verantwortlich machte. Oder man hielt schlicht und einfach »Dämonen« – sehr beliebt in der Antike – oder ihren – im Mittelalter sehr beliebten – Nachfolger, den Teufel, für die Ursache von »abnormalem« Verhalten.
Mit Hilfe der Drogen und des von ihnen verursachten ungewöhnlichen Verhaltens oder der veränderten Bewusstseinszuständen konnte Moreau erste naturwissenschaftliche Erkenntnisse über die Psyche gewinnen und wies erstmals Wege zur Behandlung von Geisteskrankheiten mit Medikamenten. Diese Grunderkenntnis der Eigenständigkeit der Psyche führte letztlich zur Psychologie und Psychoanalyse, über die gegen Ende des Jahrhunderts Sigmund Freud dann seine ganz eigenen Erkenntnisse gewann, die aber eben nicht naturwissenschaftlich oder besonders chemisch waren, sondern geisteswissenschaftlicher Natur.
Die Drogen aus der Cannabis-Pflanze wurden nach dem ErstenWeltkrieg in immer mehr Ländern verbannt und verboten, teils aufgrund internationaler Abkommen, nachdem man die Gefährlichkeit von Heroin und Kokain erkannt hatte; sie waren zuvor lange Zeit als »Heilmittel« betrachtet worden. In den USA war die Kriminalisierung von Drogen eng mit der Prohibitionsbewegung, dem Alkoholverbot, verknüpft.
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