Die Weltgeschichte der Pflanzen
Südstaaten-Aristokratie. Auch George Washington und Thomas Jefferson waren Plantagenbesitzer und Sklavenhalter.
Thomas Jeffersons glückhafter Louisiana Purchase im Jahr 1803, als die Amerikaner Napoleon für eine vergleichsweise lachhafte Summe den riesigen französischen Kolonialbesitz von Kanada bis zum Mississippi-Delta abkauften, verdoppelte schlagartig das Staatsgebiet der USA . Und hier, im »Tiefen Süden«, entstand nun das eigentliche Kingdom of Cotton , das Reich der Baumwoll-Monokultur. Nirgendwo auf der Welt war fruchtbares Land billiger zu haben, und hier investierten nicht mehr nur die Südstaaten-Aristokraten, sondern ein härterer Schlag. Zum einen musste das Land nämlich den Indianern weggenommen werden, und zum anderen importierten die Amerikaner erst jetzt Sklaven im großen Stil. Und das, obwohl die Bewegung zur Abschaffung der Sklaverei (Abolitionismus) bereits im Gange war.
Die letzte Stufe der Baumwollexplosion wurde um 1800 in England gezündet. 1789, im Jahr der Französischen Revolution, waren in England rund 2,4 Millionen Spinnmaschinen im Einsatz, vorläufig noch angetrieben von Wasserkraft. Der Einsatz der bereits seit Längerem erfundenen Dampfmaschinen war noch nicht effizient. Erst mit James Watts Erfindung, durch welche eine Dampfmaschine mithilfe einer Kolbenstange eine Kreisbewegung ausführen konnte, brach das industrielle Zeitalter durch. Und die ersten Maschinen, bei denen die Dampfkraft im großen Maßstab eingesetzt wurde, waren die Spinnmaschinen (und nicht die Lokomotiven). In England wurde die Baumwollverarbeitung die erste Leitindustrie, ja die Leitindustrie der Industriellen Revolution noch vor Eisen und Stahl.
Durch all diese Neuerungen sanken die Kosten für die industrielle Tuchherstellung aus der einstmals sehr arbeitsintensiven Nutzpflanze: in den knapp 100 Jahren zwischen der Unabhängigkeit der Vereinigten Staaten (1776) und dem Ausbruch des Amerikanischen Bürgerkrieges (1861) auf ein Prozent des Ausgangswertes um 1780.
Das ist eine außerordentliche Produktivitätssteigerung – natürlich auf dem Rücken der Sklaven im Amerika wie der Lohnsklaven in England. Kurioserweise war durch den Baumwollboom die Textilindustrie, die Speerspitze des industriellen Fortschritts, aufs Engste verknüpft mit einer Rohstoffversorgung aus einer im Grunde rückständigen Region: Die Landwirtschaft im kingdom of cotton wurde keinesfalls agrarisch effizient betrieben und überdies mit Sklaven, wie zu Zeiten der Antike.
Hauptort der Baumwollverarbeitung blieb die mittelenglische Stadt Manchester, namengebend für den berüchtigten Manchester-Kapitalismus. Liverpool entwickelte sich dadurch zum bedeutendsten britischen Hafen, und die erste Personen-Eisenbahnlinie wurde 1830 natürlich zwischen Liverpool und Manchester gebaut. Die nunmehr dampfgetriebenen mills entstanden wahllos über das Stadtgebiet verstreut, was das Stadtbild bis heute prägt. Dazwischen hausten die Arbeitermassen, die vom Land herbeiströmten und für Hungerlöhne arbeiteten. Das war schon um 1800 so. »Manchester« ist insofern nur der Inbegriff für zahllose andere Orte auf dem gesamten europäischen Kontinent, wo die Arbeiterklasse, einschließlich der Frauen und Kinder, denen die Schulausbildung verwehrt wurde, im Elend der Ausbeutung versank. Die Weberaufstände in Schlesien sind ein anderes bekanntes Echo auf die Industrialisierung der Textilherstellung. Charles Dickens hat die Lage der Armen in eindrucksvollen realistischen Romanen beschrieben, zum Beispiel in Oliver Twist (1839). Das aufrüttelnde Buch Die Lage der Arbeiterklasse in England (1845) des Kommunismus-Mitbegründers Friedrich Engels entstand nach einem fast zweijährigen Aufenthalt des Baumwollfabrikantensohnes aus Barmen in Manchester.
Am anderen Ende der Produktionskette, in den Sklavenhalterstaaten im Süden der USA , bildete ebenfalls ein weltberühmt gewordenes Buch die Lage der Unterdrückten literarisch ab: Onkel Toms Hütte (1851) von Harriet Beecher Stowe. Sie erzählt darin die Geschichte eines Negersklaven, der erst verkauft, dann freigelassen werden soll, dann aber in die Hände eines Plantagenbesitzers gerät, der ihn zu Tode quält. Auf Reisen mit ihrem Ehemann hatte sich die aus Connecticut stammende Pfarrerstocher ein Bild von den Lebensbedingungen auf den Plantagen und auf den »Neger-Märkten« gemacht. Onkel Toms Hütte , ein weltweiter Bestseller, erschien auf dem Höhepunkt des sogenannten Abolitionismus, einer
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