Die Weltgeschichte der Pflanzen
dem Altertum quer über den eurasischen Kontinent transportiert worden war.
Der Aufstieg der Baumwolle zum Welthandelsprodukt und zu einer geschichtsentscheidenden Pflanze begann, als die Briten in der Anfangszeit ihrer kolonialen Bestrebungen in Indien neue Produkte suchten, die sie nach Europa importieren konnten. Der äußerst lukrative Gewürzhandel, der um 1500 den Wettlauf der Europäer über die Weltmeere und damit den Beginn des Kolonialzeitalters ausgelöst hatte, lag inzwischen fest in den Händen der Holländer: Sie hatten den Portugiesen, den wahren Ostindien-Pionieren, ihr Kolonialreich abgejagt und verteidigten hartnäckig ihr Gewürzhandelsmonopol in Ostasien.
Parallel zur niederländischen Ostindien-Kompanie ( VOC ) war im Jahr 1600 die britische East India Company ( BEC ) gegründet worden. Die BEC , die sich in Madras (1639) und Bombay (1668) sowie im bengalischen Kalkutta (1690) festgesetzt hatte, verfiel darauf, Baumwolltuch aus Indien nach Europa zu importieren. Indische Baumwollgewebe wurden, wie viele »exotische« Waren (zum Beispiel Porzellan, mit dem die BEC und die VOC natürlich ebenfalls handelten) allmählich auch in Europa ein gefragtes Gut, denn Baumwollstoffe sind leicht, relativ reißfest, kratzen nicht und können viel Feuchtigkeit aufnehmen, sind also angenehm zu tragen. Typische Produkte für den europäischen Markt waren zunächst Schals oder Kopftücher. Die farbenfrohen indischen Gewebe wurden vor allem in England recht beliebt. Calico-Tuch, wie man es damals nannte, nach dem indischen Hauptausfuhrhafen Kalikut, war zudem viel leichter waschbar als Wolltuch und, da es nicht teuer war, auch durchaus erschwinglich.
Die BEC hätte mit der steigenden Nachfrage zufrieden sein können. Doch die britische Wollindustrie drückte schon zwischen 1690 und 1721 hohe Zölle zur Einfuhrbeschränkung von Textilien und Garn im Parlament durch, um die britischen Webereien zu schützen und die hochwertigen Produkte aus den indischen und arabischen Dörfern zurückzudrängen. Die Gesetze richteten sich vor allem gegen das indische Calico und kamen schließlich einem faktischen Importverbot dieser Fertigwaren gleich.
England verzichtete keineswegs auf die Baumwolltuchproduktion, doch nun musste das Baumwollgarn in England selbst gesponnen werden. Die englischen Webereien, fast alles handwerklich betriebene Familienkleinstunternehmen, bezogen fortan nur noch die Rohbaumwolle, und zwar hauptsächlich aus dem Mittelmeerraum, ferner aus Nahost oder Indien. Der Baumwollanbau in den amerikanischen Kolonien war damals noch völlig unbedeutend. Es gab noch nicht einmal die Vereinigten Staaten; und die späteren Großanbaugebiete im Einzugsgebiet des Mississippi waren französischerKolonialbesitz. Wegen der Calico-Gesetze wurde Indien nun von einem Fertigwaren-Exporteur zu einem Rohstofflieferanten für Europa, besonders England.
Mittlerweile war die Baumwollweberei in Mittelengland gut durchorganisiert. Um 1720 arbeiteten etwa 150000 Männer, Frauen und Kinder in dem Gewerbe. Um die Rohbaumwolle zu spinnen, war aufwendige Handarbeit erforderlich. Abhängig vom Geschick der Spinnerinnen erhielt man sehr unterschiedliche Garnqualitäten. (Wie bei der Wolle auch war es eine typische Frauentätigkeit, übrigens in allen Kulturen.)
Um 1740 wurde das Spinnen von Garn wie seit der frühesten Antike mit dem Spinnrad betrieben. Diese Technik hatte sich Jahrtausende lang so gut wie nicht verändert. Dann erfanden die Engländer in mehreren Verbesserungsschritten mechanische Spinnmaschinen, die nicht nur eine gleichmäßigere Qualität des Garns lieferten, sondern auch die fünf bis acht Spinnerinnen entbehrlich machten, die traditionellerweise für einen Weber das Garn herstellten. Nun genügte ein Spinner, der die Spinnmaschine betrieb. Die vorläufig letzte Stufe war die Water Frame von Richard Arkwright aus dem Jahr 1769, eine von Wasserkraft angetriebene Spinnmaschine für Baumwolle, die auch Kettfäden herstellen konnte, eine wichtige Neuerung.
All diese Erfindungen geschahen nicht zufällig, sondern waren zielstrebig vorangetriebene Innovationen und Verbesserungen. In dem Maße wie die Baumwollproduktion zunahm, trat die einheimische Leinen- und Wollverarbeitung in Europa immer mehr in den Hintergrund. Die Gewinnspannen bei Leinen- und Wollverarbeitung waren ausgereizt. Nur die Baumwolle besaß – erhebliches – Gewinnsteigerungspotenzial. Sofern sich die Produktivität steigern ließ.
1765 wurden
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