Die Weltgeschichte der Pflanzen
vielen anderen »Waidstädten« wurde die Thüringen-Metropole Erfurt durch den Fernhandel außerordentlich wohlhabend. In Mitteleuropa waren außerdem Oberschlesien, der Niederrhein und Nürnberg wichtige Anbaugebiete, im übrigen Europa vor allem Südfrankreich und die Normandie.
Die Farbstoffgewinnung ist ein aufwendiges Verfahren. Die Blätter des Färberwaids werden mehrmals im Jahr »abgestochen«; innerhalb von sechs Wochen treiben sie neu aus. Dann werden sie gewaschen, angewelkt und anschließend unter einem senkrecht stehenden Mühlrad halbnass zerquetscht und getrocknet. In diesem Mus setzt binnen zwei Wochen ein erster Gärungsvorgang ein. Aus ihm formten Frauen und Kinder handliche »Waidkugeln«.
Die Bällchen brachten die Bauern auf den Markt, wo Waidhändler sie ihnen abkauften. (Bauern durften kein Gewerbe betreiben. Der ganze Waidhandel war streng reglementiert). Diese sorgten für die Weiterverarbeitung und den Vertrieb.
Die Bällchen wurden nun von den Waidknechten der Waidhändler erneut angefeuchtet – mit Wasser und Urin, was eine Gärung in Gang setzte. Der ganze aufwendige und langwierige Fermentationsprozess erforderte viel Erfahrung mit Aufschütten, Wenden und Befeuchten, um die optimale Temperatur und Feuchtigkeit für die Gärung zu erhalten. Durch diese Gärungsprozesse wird der Ausgangsstoff (Indoxyl) für den Farbstoff freigesetzt (Spaltung durch Enzyme). Die Masse, das Vorprodukt, kann getrocknet, zu Pulver zerrieben und in Fässern weiterverkauft werden. Seine Beschaffenheit ist dem von Taubenmist am ähnlichsten.
Farbherstellung, Textilien färben und Leder gerben zählten im ohnehin nicht gerade geruchsverwöhnten Mittelalter zu den übelriechendsten Gewerben. Außerdem erzeugten sie große Mengen verunreinigtes Abwasser.
Zum Färben tauchte man die Textilien in eine Brühe, die sogenannte Küpe. Auch diese ist nicht nur einfach in Wasser aufgelöstesund erwärmtes Waid, sondern Ergebnis wohlgehüteter Rezepturen. Hierin wird der Waid noch einmal mit Pottsche (Alkali) und Urin vergoren.
Die Textilien färben sich beim Eintauchen nicht gleich blau, sondern gelb. Die blaue Farbe entsteht erst nach dem Herausziehen beim Trocknen an der Luft. Erst wenn das Indoxyl oxidiert, also mit Sauerstoff reagiert, wird es auf dem Gewebe zu Indigo. Daher wird Färberwaid auch »Deutsches Indigo« genannt. Dieser Teil des Färbens verursachte den entsetzlichsten Gestank.
Vor allem für das Blaufärben von Leinen, dem verbreitetsten Gewebe im Altertum und Mittelalter, gab es keinen anderen Farbstoff. Erst das indische Indigo löste nach dem Dreißigjährigen Krieg den Färberwaid allmählich ab. Seit der Herstellung synthetischer, aus Steinkohlenteer gewonnener Anilinfarbstoffe endete die Färberwaidproduktion um 1900 so gut wie endgültig.
Weil er pilzhemmend wirkt, wurde und wird die blaue Färberwaidfarbe auch als Holzanstrich verwendet. Als natürliches, nicht synthetisches Holzschutzmittel und zu Restaurierungszwecken wird der »Original«-Farbstoff noch in kleinen Mengen auf circa 80 Hektar in Thüringen angepflanzt und aufbereitet. Insofern wurde die Pflanze in jüngster Zeit in kleinem Umfang wiederbelebt.
Färberdistel
Eine ähnlich alte Mittelmeer-Nutzpflanze ist die Färberdistel ( Carthamus tinctorius ) aus der Familie der Korbblütler. Sie stammt aus Kleinasien und wurde ebenfalls schon für das Färben von Mumienbinden verwendet. Hauptsächlich gewann und gewinnt man aus den Samen der Distel ein wertvolles Öl. Sie hat sich nach ganz Asien verbreitet, die Römer brachten sie nach Germanien. In Thüringen wurde sie ebenfalls als Färbepflanze angebaut. Die Färberdistel war ein willkommener Ersatz für den sehr teuren Safran. Im Mittelalter liebte man es ja, Speisen zu färben, und ganz besondersschätzte man den Goldton des Safrans oder eben der – preiswerteren – Färberdistel.
Die Farbe von rötlich bis gelb wird durch Auszüge aus den Blütenblättern der Färberdistel gewonnen. Seit es die Anilinfarben gibt, nahm ihre Bedeutung als Färbepflanze rapide ab.
Außer der Färberdistel gibt es noch etliche andere, insbesondere gelb-blühende Pflanzen, aus denen gelber Farbstoff gewonnen wurde, auch Bäume wie die Färbereiche in Nordamerika oder der Färbermaulbeerbaum in Südamerika.
Reseda
Die Färber-Resede, oder der Färber-Wau, war ebenfalls eine Pflanze zum Gelbfärben. Sie stammt aus dem Nahen Osten und ist pflanzenarchäologisch bereits in den
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