Die Weltgeschichte der Pflanzen
Leinstrohbündel werden durch eine Art Drahtbürste gezogen (gekämmt), was sie weiter ausrichtet und reinigt. Manche sagen, das sei früher eintönige Frauenarbeit gewesen und von den Klatschgeschichten, die sie sich dabei erzählten, käme das Wort »durchhecheln«. Heute wird das Hecheln maschinell erledigt. Anschließend kann die Faser zu Fäden versponnen und dieses Garn kann gewebt werden.
Der europäische Bauer im Mittelalter trug typischerweise Leinenkittel und -hosen. (Bei Kälte natürlich noch ein paar wärmere Sachen.) Leintuch war die gebräuchlichste Textilie im Haushalt, insbesondere als Tischwäsche und als Bettwäsche. Noch heute spricht man vom Leintuch als Bettbezug, auch wenn es längst aus Baumwolle hergestellt wird. Vereinfacht gesagt: Alles, was heute aus Baumwolle ist, war früher aus Leinen.
Europäischer Fernhandel nördlich der Alpen war natürlich keine Erfindung des Hochmittelalters. Bernstein von der Ostsee, Zinn aus Cornwall und Salz zählten schon seit Jahrtausenden zu den begehrtesten Handelsgütern, die spätestens seit der Bronzezeit (drittes Jahrtausend) vom Norden in den Mittelmeerraum verfrachtet wurden. In der Eisenzeit unterhielten Kelten, Etrusker und frühe Griechen im ersten Jahrtausend einen regen gegenseitigen Warenaustausch auch mit Fertigprodukten. Im universalen Römerreich intensivierte sich dieser Güteraustausch beträchtlich und riss nach der Völkerwanderung keineswegs ab. Wichtigste Süd-Nord-Verbindung in Europa war die Achse Rhône-Rhein-Maas-Nordsee. Die Strecke rhôneaufwärts mit Abzweigen an den Genfer See und von dort zum Oberrhein sowie weiter nördlich via Mosel (Trier) zum Unterrhein (Köln) war die natürliche Trasse zwischen Mittelmeer und Nordsee. Für die Verhältnisse der damaligen Zeit verkehrsgünstig lag die Champagne, sozusagen auf halbem Weg zwischen Norditalien und Flandern. Sowohl England wie das Rheinland waren von dort ebenfalls vergleichsweise gut erreichbar. Flandern war ein überragend wichtiges Zentrum der Tuchmanufaktur mit besonders hochwertigen Stoffen. Und Tuche waren eben das Haupthandelsgut der Champagnemessen, Messen in der Champagne, auch schon des frühen Mittelalters. Sie wurden nämlich Richtung Deutschland und Richtung Italien exportiert. (Gewürze, Leder und Pelze waren die anderen wichtigen Handelsgüter.) Die andere wichtige Nord-Süd-Handelsachse verlief von Venedig transalpin über Augsburg nach Nürnberg.
Die Tradition der institutionalisierten Champagnemessen in den Städten Provins, Troyes, Lagny und Bar-sur-Aube begann unter derSchirmherrschaft der Grafen der Champagne im 11. Jahrhundert, reicht aber wohl bis in die Antike zurück.
Im toskanisch-lombardisch-flandrisch-englisch-rheinischen Warenaustausch entwickelte sich im Hochmittelalter die moderne Geldwirtschaft mit Wechseln, Schecks und Buchführung. Um 1300 n. Chr. war es dann mit den Champagnemessen vorbei. Zum einen wurde die Seefahrt sicherer. Dadurch verlagerten sich die Handelsströme mehr zur Nordsee, wovon zum Beispiel Brügge profitierte und im Weiteren auch die Hanse. Zum anderen begann man in der Toskana mit der Tuchproduktion. Die Stunde der Medici war gekommen.
Während in der Champagne sechsmal im Jahr die Handelsmessen abgehalten wurden, organisierten die Medici in staufischer Zeit (nach der dynastischen deutschen Zeitrechnung, die ja auch in Italien eine gewisse Gültigkeit hat) in der Toskana die Wollweberei. Auf der Grundlage des Tuchhandels wurden sie so reich, dass sie das Geld ins Bankgewerbe investierten. Dadurch gewannen sie wiederum so viel politischen Einfluss, dass sie im 15. Jahrhundert zeitweilig die Stadtrepublik Florenz regierten, bleibende Verdienste als Kunstmäzene erwarben, Päpste stellten und später einige Töchter auf Königs- und Fürstenthrone verheirateten. Realwirtschaftlich verdienten die Medici ihr erstes Geld mit Textilherstellung und Tuchhandel. Auch wenn die Medici-Textilien hauptsächlich aus Wolle gewebt wurden, zeigt der Aufstieg einer der historisch prominentesten Familien Europas nicht-adeliger Herkunft von einfachen Webern bis auf den Papst- und einige Fürstenthrone den ungeheuren Stellenwert des Tuchgeschäfts als der dominierenden »Industrie« der Vormoderne. (Das spätere Baumwollgeschäft entwickelte eine ähnliche Vorreiterrolle für die technische Industrialisierung um 1800.)
So wie die Medici in der Toskana organisierten die Fugger die Leinenweberei in Süddeutschland, namentlich in Schwaben.
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