Die Weltgeschichte der Pflanzen
leicht eintreten, da die Befruchtungsorgane von Schiffchen enge umschlossen sind […] Als weitere Vorzüge verdienen noch Erwähnung die leichte Cultur dieser Pflanze im freien Lande und in Töpfen sowie die verhältnismäßig kurze Vegetationsdauer derselben«. Das Wichtigste war der Schutz vor Verunreinigung durch fremde Pollen, welche die Untersuchungsergebnisse verfälscht hätten.
Durch die genaue statistisch-mathematische Vorhersagbarkeit etwa des Vorkommens von roten und weißen Erbsenblüten nachderen Kreuzung in der ersten, zweiten und allen weiteren Nachfolgegenerationen gelang Mendel der Nachweis, dass die einzelnen Merkmale distinkt vorhanden sind und sich ihr Vorkommen in der Erbfolge präzise vorhersagen lässt. Mendel prägte die Begriffe »dominant« und »rezessiv« für die in den Samen vorkommenden »Elemente« – eine Vorstellung von »Gen« hatte er noch nicht.
Nach Abertausenden von Jahren praktischer Anwendung in der Pflanzen- und Tierzüchtung kamen die theoretische Grundlegung und wissenschaftliche Erkenntnis der Vererbung bemerkenswert spät. Doch Mendels Erkenntnisse fanden in der zeitgenössischen Wissenschaft zunächst kaum Beachtung. Er gab seine Forschungen schließlich auf, begnügte sich damit, Gemüse zu züchten und wurde gegen Ende seiner Klosterkarriere zum Abt ernannt.
Erst im 20. Jahrhundert verstand man, dass Merkmale von einzelnen Genen abhängen. Dies ergänzte sehr gut die Theorie von Darwin, wonach auf Dauer die am besten an die jeweiligen Umstände angepassten Eigenschaften erblich »selektiert« werden. Darwin veröffentlichte – nach langem Zögern – sein revolutionäres Buch 1859, also genau zu der Zeit, als Mendel an seinen Erbsen forschte. Mendel kannte zwar Darwins Die Entstehung der Arten , nahm aber nie Kontakt zu ihm auf. Darwin wiederum stellte keine Verbindung zu Mendel her, von dem er nachweislich gelesen hatte. Das wäre in Zeiten des Internets wahrscheinlich nicht passiert.
Das Augustinerkloster von Brünn liegt zwar nicht in ländlicher Abgeschiedenheit, sondern mitten in der mährischen Hauptstadt. Doch es war ein ruhiger Ort und angesichts der klösterlichen Lebensumstände konnte Mendel seine Grundlagenforschung jahrelang ohne wirtschaftlichen Druck betreiben, bis er die Grundregeln der Vererbung geistig erfasst hatte. Das Brünner Kloster war eine bekannte gelehrte Institution; die Bibliothek umfasste 20000 Bände. Dies war vielleicht das letzte Mal in der großen Tradition wissenschaftlicher Gelehrsamkeit in abendländischen Klöstern, dass sich eine zukunftsweisende Erkenntnis innerhalb der Mauern einer solchen Institution anbahnte. Die Details von Mendels Forschungsarbeiten sind heute nicht mehr nachvollziehbar, da die meisten Aufzeichnungen nach seinem Tod von seinen Mitbrüdern vernichtet wurden.
Mendels Erblehre wurde erst um 1900 von drei Pflanzenforschern unabhängig voneinander wiederentdeckt: von dem Holländer Hugo de Vries und dem Deutschen Carl Correns, teilweise auch von dem Österreicher Erich Tschermak-Seysenegg. Correns entdeckte zudem, dass das Geschlecht nach den Mendel’schen Regeln vererbt wird. Der Holländer de Vries erkannte als Erster schon um 1886, dass Lebewesen sich durch (Gen-)Mutationen verändern; mit seinem Buch Die Mutations-Theorie (1900-1903) schuf er den Begriff dafür, der heute zum Allgemeinwissen zählt. Aber es dauerte noch bis in die Dreißigerjahre, bis dieses Phänomen allgemein akzeptiert wurde. De Vries forschte und lehrte auch in Deutschland. 1875 wurde für ihn eigens ein Lehrstuhl in Berlin eingerichtet.
Im Anschluss an de Vries war man geneigt, vom Darwin’schen Konzept der Artenentstehung durch Selektion abzurücken und nun den Mutationen die entscheidende Rolle zuzusprechen. (Darwin wusste ja noch nichts von Genen; auch de Vries hatte nur eine Ahnung davon, die noch weit entfernt ist von unserem verbreiteten Allgemeinverständnis von DNA ). Um die Wahrheit zu sagen, hatte mindestens bis in die Zeit des Ersten Weltkriegs noch kein einziger Biologe eine genaue Vorstellung davon, wie Erbgut weitergegeben wurde – sei es bei Erbsen, sei es beim Menschen. Heute sieht man im Anschluss an den deutsch-amerikanischen Jahrhundert-Biologen Ernst Mayr (1904-2005) wieder eher die Selektion als Hauptantrieb der Vielfalt der Arten, die Mutationen stellen dafür sozusagen den Genpool bereit.
Dank Mendel konnte man Pflanzenzüchtung nach 1900 gezielter angehen, was vor allem in den USA sehr begrüßt
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