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Die Weltreligionen. Vorgestellt von Arnulf Zitelmann

Titel: Die Weltreligionen. Vorgestellt von Arnulf Zitelmann Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Arnulf: Zitelmann
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Bibelwissenschaft in nichts von den Methoden der Naturwissenschaft unterscheidet.
     Im Gegenteil, sie stimmt völlig mit ihr überein. Die Methode der Naturwissenschaft besteht vor allem darin, eine Geschichte
     der Natur zu entwerfen, aus der man dann als gesicherte Daten die Definition der Naturgegenstände ableitet. Nicht anders ist
     es bei der Bibelwissenschaft. Es gilt eine getreue Geschichte der Bibelentstehung auszuarbeiten, um daraus die Botschaft der
     biblischen Autoren in richtiger Folgerung |102| als gesicherte Daten und Prinzipien abzuleiten. ... Erst dann wird es uns möglich sein, dass wir uns daran begeben, die Botschaft
     der Propheten und des Heiligen Geistes zu erforschen.« Eine so betriebene wissenschaftliche Behandlung der Bibel nehme der
     Religion jedoch nicht ihre Würde, darauf besteht Spinoza ausdrücklich. Denn die wahre Religion habe Gott nicht auf Papier,
     sondern als Vernunftwahrheit uns ins Herz geschrieben. Mit diesem Argument versuchte Spinoza seinen Kritikern den Wind aus
     den Segeln zu nehmen. Doch es half nichts, den Zorn der Buchstabengläubigen konnte er damit nicht besänftigen.
    Ohne Esra keine Bibel
    Ich sehe beide Seiten. Die kritischen Bibelwissenschaften haben Spinoza glänzend bestätigt, postum wurden seine Überlegungen
     voll akzeptiert. Das wütende Entsetzen seiner jüdischen Mitbürger kann ich trotzdem nachvollziehen. Der Glaube an den göttlichen
     Ursprung der Tora ist der Kernpunkt des jüdischen Glaubens. Am Simchat Tora, dem Tag der Gesetzesfreude, der das Laubhüttenfest
     beschließt, küssen die Gottesdienstbesucher die heiligen Schriften, während die Gesetzesrollen im feierlichen Umzug durch
     die Synagoge getragen werden. Und die Rabbiner waren mitnichten verstockte Dunkelmänner. Ich sagte ja schon, der Schritt vom
     Tempel zum Buch, im Babylonischen Exil vollzogen, war ebenso bedeutsam wie das Aufbegehren Buddhas und das »Erkenne dich selbst«
     des Griechen Sokrates. Sie waren nahezu Zeitgenossen – Sokrates, Esra, Buddha – und jeder auf seine Weise umgetrieben von
     der Erkenntnis, an der Schwelle eines Umbruchs zu stehen. War das auch ihren übrigen Zeitgenossen bewusst? Wahrscheinlich
     nicht. Sokrates lebte isoliert in Athen, Buddha brach mit seiner Familie, und aus Esra sprach die Erfahrung der Galut, des
     Exils.
    Mit ihrer Vertreibung ins Zweistromland, 586 vor unserer Zeit, hatten die Juden nicht nur die politische Selbstbestimmung,
     Land und Besitz verloren, sondern, was noch schwerer wog, den Tempel und mit ihm Jahwe, ihren Gott.
    Religionsausübung ohne Kultritual, Opferfeuer und priesterliche Prozessionen schien undenkbar. Wie sollte man Gott preisen
     und ehren ohne Altar und Priester, wie Weisung finden ohne das Tempelorakel? Wie sollte das Volk von Sünden reingewaschen
     werden, wenn nicht das über sie ausgesprengte Opferblut die Missetaten sühnte? Wie konnte man Jahrestage und Feste begehen,
     ohne dass in den Tempelhallen Musik und Priesterchöre erschallten?
    |103| Der Psalm 137, in den 70er Jahren des vorigen Jahrhunderts modern umgesetzt, gibt der Trauer um den Verlust des Berges Zion,
     stellvertretend für den Verlust der ganzen Stadt Jerusalem, bewegend Ausdruck: »By the rivers of Babylon, where we sat down
     and there we cried, when we remembered Zion.« Wörtlich heißt es weiter im Text: »Dort forderten unsere Fänger Sangesworte
     von uns, unsre Folterer ein Freudenlied: Singt uns was vom Zionsgesang! Wie aber können wir Jahwes Lieder singen auf dem Boden
     der Fremde?« Für Israels Religion schien mit dem Exil das Ende gekommen, wie für das gesamte Volk. In dem halben Jahrtausend
     von David bis nach Babylon verlor Israel, so rechnen Bevölkerungswissenschaftler, drei Viertel seiner Menschen. Den größten
     Blutzoll hatte das Nordreich zu entrichten, dessen zehn Stämme auf immer aus der Geschichte verschwunden sind.
    Möglicherweise gibt es aber doch einen Weg, der zu den Versprengten führt. Zu ihrer großen Überraschung stießen Archäologen
     im vorigen Jahrhundert auf eine heiße Spur. In Ägypten! Sie gruben im Gelände der Nilinsel Elephantine die Reste eines jüdischen
     Tempels aus. Recherchen an Ort und Stelle ergaben, dass die Juden von Elephantine neben Jahwe auch andere Götter verehrten,
     darunter seine Begleiterin Anat-Jahu. Elephantine war eine jüdische Söldnerkolonie. Der Sprache nach stammten die Soldaten
     aus Israels Nordreich. Eine ganze Papyrus-Bibliothek konnten die

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