Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen

Die Weltreligionen. Vorgestellt von Arnulf Zitelmann

Titel: Die Weltreligionen. Vorgestellt von Arnulf Zitelmann Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Arnulf: Zitelmann
Vom Netzwerk:
(»Männer und Frauen«!)
     waren sich der Einmaligkeit, der Tragweite dieses Vorgangs bewusst. Aber dieser »erste Tag des siebten Monats« im Jahr 458
     (bzw. 398) war zugleich der Geburtstag der beiden anderen »Buchreligionen«, des Christentums und des Islam.
    |99|
    »Esra, der Schreiber«.
    Baruch de Spinoza nimmt die Bibel unter die Lupe
    Baruch de Spinoza war ein Amsterdamer Jude, ein kritischer Philosoph des 17. Jahrhunderts, der sich als Glasschleifer durchs
     Leben schlug. Er wollte genauer wissen, was in der Bibel steht, vor allem reizte ihn Esras Schriftrolle. Auf welchem Weg war
     das Schriftstück ausgerechnet in die Hände des persischen Hochkommissars gelangt? Hatte Esra die Tora in einem verstaubten
     Archiv entdeckt? Spinoza war der erste, der diesen Fragen wissenschaftlich auf den Grund ging, und er kam zu dem Ergebnis,
     dass Esras Schriftrolle jene Texte umfasste, die heute als das »5. Buch Moses« in der Hebräischen Bibel enthalten sind.
    Dieses »5. Buch« enthält eine lange, mehrfach neu anhebende Rede, die Moses am Ende der 40jährigen Wüstenwanderung, unmittelbar
     vor der Besetzung des Gelobten Landes durch die Zwölf Stämme, gehalten haben soll. Darin geht es hauptsächlich um rechtliche
     Bestimmungen und Weisungen, eingeschoben sind Erzählstücke, poetische Texte. Die Schrift schließt mit Segenssprüchen über
     Israel und dem einsamen Tod von Moses in den Bergen des Ostjordanlandes. Die Bibelwissenschaftler nennen diese Schrift das
     »Deuteronomium«, das Zweite Gesetz. Denn das »5. Buch Moses« gibt sich als Aktualisierung und Novellierung der Tora, jener
     Weisungen und Vorschriften, die Moses dem Gottesvolk am Sinai verkündet haben soll.
    Wer aber schrieb das so genannte »Deuteronomium« nieder? Esra selbst, so vermutete Baruch de Spinoza, war der Autor dieses
     Werkes, aus dem er in Jerusalem der versammelten Gemeinde vorlas. Und Spinoza fährt fort: »Ich denke, als Esra sein Buch geschrieben
     hatte, nahm er sich vor, einen Abriss der ganzen hebräischen Geschichte zu liefern. Vom Beginn der Welt an bis zu der Zerstörung
     von Jerusalem. Und in dieses Gesamtwerk fügte er das Deuteronomium ein. Die ersten fünf Bücher nannte er nach Moses, denn
     sie berichten hauptsächlich aus dessen Leben.« Damit erklärte der Philosoph die »Heilige |101| Schrift« zu einem normalen Buch. Ein Buch wie jedes andere auch, mit einem Autor namens Esra.
    Waren die »Heiligen Schriften« also ein Menschenwerk? Das fragten sich entsetzt die Zeitgenossen des niederländischen Philosophen.
     Friedrich Nietzsche, der in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts die provokante philosophische These »Gott ist tot!« aufstellte,
     sah in Spinoza den »abnormsten und einsamsten Denker« und rühmte dessen »verborgenes Heroentum«. Wir würden ihn heute, weniger
     pathetisch, als einen Querdenker bezeichnen. Spinoza jedenfalls eckte überall an.
    Achtzehn Jahre zuvor hatte ihn die Amsterdamer Synagoge bereits wegen »abscheulicher Ketzereien und schwarzer Taten« ausgestoßen,
     was auch immer damit gemeint war. Jetzt, nach Jahrtausenden jüdischer Heils- und Leidensgeschichte, vergriff sich dieser Abweichler
     sogar an der »Tochter« des Höchsten, der Königin Israels, an der Tora des Moses! Esra stand bei den rabbinischen Gelehrten
     zwar auch in hohem Ansehen, denn hätte Gott seine Tora Moses nicht diktiert, wäre Esra bestimmt sein nächster Kandidat gewesen.
     Doch Spinozas ketzerische Ansicht, das »Heilige Buch« sei von einem Menschen erfunden und in die Welt gesetzt worden, war
     für die Synagoge eine abscheuliche, unüberbietbare Gotteslästerung!
    Ganz so einfach machte es Baruch de Spinoza seinen Kritikern allerdings nicht. Es lag ihm fern zu behaupten, die Hebräische
     Bibel sei ein reines Fantasieprodukt. Dennoch trug er seitenweise Ungereimtheiten aus den Texten zusammen, stieß die Rabbiner
     mit der Nase auf widersprüchliche Aussagen in den biblischen Schriften. Bruchstellen, die Spinoza damit erklärte, Esra habe
     bei der Ausarbeitung auf altes Material verschiedener Herkunft zurückgegriffen. Vom Deuteronomium abgesehen, das der Schreiber
     selbst abgefasst habe, sei Esras Arbeit redaktioneller Natur gewesen, und diese sei mehr oder weniger glücklich ausgefallen.
     Mit solchen Bemerkungen goss Spinoza weiteres Öl ins Feuer. Der Philosoph suchte keinen Streit, wollte sich jedoch das Denken
     keinesfalls verbieten lassen.
    »Ich behaupte, dass sich die Methode der

Weitere Kostenlose Bücher