Die Weltreligionen. Vorgestellt von Arnulf Zitelmann
Kapitel werde ich den Islam vorstellen, zu dem sich auch Luther äußerte: »Es gefällt mir nicht, dass man die Christen
und die Fürsten so treibt, |157| hetzt und reizt, den Türken anzugreifen und mit Krieg zu überziehen.« Nach der Eroberung von Konstantinopel im Jahr 1453 rückten
türkische Armeen über den Balkan nach Mitteleuropa vor. Belgrad fiel, und 1529 belagerten die Muslime Wien. Das Recht zur
Selbstverteidigung gestand Luther dem Kaiser wohl zu, von einem »Kreuzzug« gegen den Islam mochte er allerdings nichts wissen.
Lieber sollten die Christen sich selbstkritisch prüfen: War es nicht ihre eigene Hoffart und Verderbtheit, die den Islam gegen
die Christenheit in Bewegung setzte? Der »Türke« wurde in Luthers Augen zur »Zuchtrute«, die eine Umkehr anmahnte. Überhaupt,
warnte er, solle man die Andersgläubigen nicht verteufeln: »Wie ich mag mit einem Heiden, Juden, Türken, Ketzer essen, trinken,
schlafen, gehen, reiten, kaufen, reden und handeln, also mag ich mit ihm auch ehelich werden und bleiben und kehre mich nicht
an der Narren Gesetze, die solches verbieten. Ein Heide ist ebenso gut ein Mann und Weib von Gott wohl und gut geschaffen
wie S. Peter und S. Paul und S. Lucia geschweige denn als ein loser falscher Christ.« Die Freiheit vom Gesetz, übersetzt in
den Alltag, lässt kulturellen Feindbildern keinen Raum.
|155|
»Glaubstu so hastu, glaubstu nit, so hastu nit«, pflegte Martin Luther zu sagen.
Die Türken belagerten 1529 Wien.
158
204
158
204
false
|158| Islam: Der eine Einzige
Aisha, die Lieblingsfrau Muhammads, überliefert die folgenden Worte des Propheten:
»Er sagte zu mir: ›Kennst du, Aisha, die Besonderheit dieser Nacht (die fünfzehnte im Fastenmonat Ramadan)?‹ Ich sagte: ›Was
ist mit dieser Nacht, Prophet?‹ Er sagte: ›Zum einen, alle Kinder Adams, die in diesem Jahr zur Welt kommen, werden heute
aufgezeichnet, zum anderen, alle die darin sterben. Außerdem werden in dieser Nacht alle Taten der Kinder Adams dem Himmel
zugetragen und herabgesandt wird alles, was ihnen zusteht!‹ Da sagte ich: ›O Prophet, kommt keiner ins Paradies, außer wenn
Allah sich seiner erbarmt?‹ Er sagte: ›Niemand kommt hinein ohne Gunsterweisung Allahs!‹ Das sagte er drei Male. Ich sagte:
›Und du, o Prophet, kommst auch du nur hinein, wenn Allah dir Gunst gewährt?‹ Da legte der Prophet die Hand auf seinen Kopf
und sagte: ›Ins Paradies gelange ich nur, wenn mich Allahs Barmherzigkeit bedeckt!‹ Das sagte er drei Male.« Dieses Selbstzeugnis
macht mir Muhammad liebenswert. Vergebung suchte und brauchte er wie jeder andere Mensch.
Muhammad sagt: Ich bin nur ein Mensch
Dabei hatte Allah gerade ihn durch ein besonderes Vertrauensverhältnis ausgezeichnet: »Ich bin wie mein Diener von mir denkt.
Spricht er von mir, bin ich bei ihm, denkt er an mich, denke ich an ihn. Kommt er zu mir, laufe ich ihm entgegen«, bezeugte
ihm der Ewige. Ein großes Wort! Doch bei aller freundschaftlichen Nähe bleibt für Muhammad die Begegnung mit dem Höchsten
ein unfassliches, weil unverdientes Wunder. Seinen Muslimen, die den Gesandten schon zu Lebzeiten wie ein Engelswesen verehrten,
schärfte er darum immer aufs Neue ein: »Ich bin ein Prophet Allahs, doch was mir geschieht, wenn Allah mich richtet, das weiß
auch ich nicht.« Und er betete oft: »O Allah, bloß ein |159| Mensch bin ich! Habe ich jemand irgendwie wehgetan, verzeih und bestrafe mich nicht!« Bote und Botschaft soll man nicht verwechseln,
darauf bestand Muhammad bis an sein Lebensende. Doch kann man beides wirklich sauber voneinander trennen?
Zu Muhammads Zeiten wurde diese Frage auch im Christentum diskutiert, über hundert Jahre lang. Wie können die heiligen Sakramente
wirksam sein, wenn ein bescholtener Priester sie vollzieht? So fragte man sich, und nach endlosen Streitgesprächen, ja, Gewalttätigkeiten
zwischen Befürwortern und Gegnern stellte man schließlich fest: Taufe, Eucharistie und alle anderen Sakramente sind schon
gültig durch den bloßen Vollzug! Eine weise Entscheidung. Denn kein Priester ist unfehlbar. Die Botschaft, die er vermittelt,
steht selbst für ihre Glaubwürdigkeit ein. Nicht anders ist es in der Kunst. Picassos Bilder können mich beeindrucken, ohne
dass ich den Künstler kenne. Person und Werk liegen auf verschiedenen Ebenen. Erst auf der virtuellen Ebene können Bote und
Botschaft verschmelzen wie bei Buddha. Wie bei Jesus.
Weitere Kostenlose Bücher