Die Weltreligionen. Vorgestellt von Arnulf Zitelmann
Da sind Bote und Botschaft eins. Derartige Ansprüche hat Muhammad jedoch
nie an sich gestellt. Bote und Botschaft bleiben für den Propheten zwei Paar Schuh: »Ich werde nicht ins Paradies gelangen,
wenn mich nicht Allahs Barmherzigkeit bedeckt.« Entsprechend versuche ich, die Botschaft des Koran aus sich heraus zu verstehen.
Durch die Wüste und 1001 Nacht
Das erste Mal kam ich mit der muslimischen Welt durch die Abenteurromane von Karl May in Kontakt. Als Junge ritt ich an der
Seite von Hadschi Halef Omar durch die Wüste. Der ein wenig schlitzohrige, doch seinem Herrn Kara ben Nemsi treu ergebene
Hadschi Halef Omar lehrte mich, Hadschi als Ehrentitel zu verstehen. Ich erfuhr von der Pilgerfahrt nach Mekka, sah vor mir
beim Lesen Mekka und Medina, die Prophetenstädte, und selbst in den lustigen Intermezzos, zu denen Hadschi Halef Omar stets
den Anlass lieferte, spürte ich etwas von der strengen, aufrichtigen Frömmigkeit dieser Wüstenreligion. Sie begegnete mir
auch in den Geschichten von
Tausendundeine Nacht
, ihren Seefahrererzählungen, Sagen, Tierfabeln und Ritterromanen, die mich in Begleitung von Sindbad dem Seefahrer oder von
Aladin und seiner Wunderlampe ins fantastische Morgenland entführten. Den Koran, das heilige Buch der Muslime, lernte ich
erst sehr viel später kennen.
|160| Arabien, Kultur im Wüstensand
Eine Titelgeschichte des
Spiegel
(»Wer war Mohammed?«) zeichnet ein anschauliches Bild des damaligen Mekka. »Unfruchtbar das Tal, zerklüftet die Bergwelt,
knapp das Wasser. Aber keiner kann sagen, dass die Mekkaner im 6. Jahrhundert nicht das Beste aus diesem Platz machen. Sie
haben eine wohlhabende Stadt erbaut, mit einem Reichenviertel in der Ebene und dem Handwerker- und Plebejerviertel an den
Berghängen, wo auch viele Beduinen vorübergehend ihre Zelte aufgeschlagen haben. Es geht streng hierarchisch zu in der Stadt:
Ein Rat der reichen Familien bestimmt die politischen Geschicke, die meisten der Aristokraten gehören dem Stamm der Kureisch
an. Sie kontrollieren das Kreditwesen, sie versorgen die zahlreichen durchreisenden Geschäftsleute und garantieren gegen Entgelt
deren Sicherheit. Mekka liegt am Knotenpunkt der Karawanenstraßen, die den südlichen Jemen mit Syrien und dem Zweistromland
im Norden verbinden. Im Winter tragen oft 2000 Kamele Datteln und Weihrauch, sogar Edelsteine und Seide aus Indien und China
gen Norden, zurückbringen sie Baumwollstoffe, Weizen und Öl. Und dann ist da noch das Heiligtum, das die Kureisch kontrollieren:
ein schwarzer Meteorit, damals schon Kaaba genannt, unweit davon der geweihte Samsam-Brunnen, aus dem die Pilger sich Wasser
holen müssen. Angebetet wird ein ganzes Bündel von Gottheiten: Hausgötzen in Form von geformten Datteln, aufgerichtete Steine,
die der Pilger mit Blut und Öl bespritzt, Standbilder, bei denen der Orakelsuchende Pfeile wirft. Kamelmarkt, Kult und Kirmes
gehen geschäftsfördernd ineinander über – unter dem Schutz eines drei Monate anhaltenden Gottesfriedens, der Blutrache und
Plünderung verbietet, aber Sangeswettbewerbe und Essgelage fördert. Besonders Dichter und Wahrsager sind gefragt. Die Mekkaner
glauben, diese seien von Dschinn besessen, halb menschliche, halb überirdische Wesen.«
Mit Byzanz, dem heutigen Istanbul – damals die Christenmetropole am Bosporus –, kann sich Mekka freilich nicht messen. Ihr
Einfluss reicht bis in die Nordprovinzen der arabischen Halbinsel. Arabische Söldner kämpfen in den kaiserlichen Armeen, einzelne
Wüstenstämme haben den Christenglauben angenommen. Christliche Mönche suchen in der Einsamkeit der Wüste Erleuchtung und Erlösung.
Von den Razzien und Beutezügen der Beduinen bleiben sie dort unbehelligt. Die beduinische Gastfreundschaft ist sprichwörtlich.
Auch zum christlichen Äthiopien, westlich des Roten Meeres, bestehen lang gewachsene, fruchtbare Handelsbeziehungen. In der
Kaaba, wörtlich der »Würfel«, finden sich neben den Idolen der Volksfrömmigkeit auch Bilder von |161| Maria und Jesus. Als die Gläubigen später das Heiligtum von »Götzen-Bildern« säuberten, soll Muhammad deren Bilder mit seinen
Händen bedeckt haben: Die sollt ihr verschonen! An den Innenwänden der Kultstätte hingen Gedichte, festgehalten auf Tafeln,
Pergament oder Papyrus. Seinen Lieblingspoeten gewährte der Prophet gleichfalls den Schutz seiner Hände, sie sollten im Heiligtum
verbleiben. In welcher Religion finden
Weitere Kostenlose Bücher