Die Weltreligionen. Vorgestellt von Arnulf Zitelmann
wir das sonst? Gedichte als Kultgegenstände!
Muhammad selbst war ein poetisches Genie, seine Sprache formen und durchdringen Beduinenrhythmen. Neben Laotse, den israelischen
Propheten und den Jesus-Gleichnissen ist es vor allem Muhammad, dessen Botschaft |162| literarisch daherkommt. Wohl deshalb beließ er die »Hängenden Gedichte«, wenigstens eine Auswahl von ihnen, in der Kaaba,
wo sie ihren angestammten Platz einnahmen.
Die Kaaba, gestern und heute.
|162| Was sind das für Gedichte? »Hell macht sie die Schwärze des Abends, als Mönchslicht durchstrahlt sie die Nacht. Ihr verfällt
ein Bedächtiger gar, liebesentbrannt kleben seine Augen an ihr. Blut tranken die Lanzen, mein Blut färbte indischen Stahl,
doch ich dachte an dich, Küsse waren die blitzenden Schwerter, leuchten nicht die Zähne so in deinem lockenden Mund?« Poeme
vom heldischen Liebestod unter den Augen der Geliebten, Minnelieder. Fünfhundert Jahre darauf kam die Minnedichtung aus dem
arabischen Spanien über die Pyrenäen an die Fürstenhöfe Europas. Ein Kulturtransfer unter den schützenden Händen des Propheten
Muhammad.
Arabien ist uraltes Kulturland. Jatrib, nördlich von Mekka und bald Medina, die Stadt des Propheten genannt, erwähnen bereits
die Schriften aus dem Zweistromland im 6. Jahrhundert vor unserer Zeit in Verbindung mit jüdischen Namen. Die arabische Halbinsel
bot sich den verfolgten Juden als Zufluchtsstätte geradezu an, standen sie doch nach Auskunft der Hebräischen Bibel zu den
Arabern in enger verwandtschaftlicher Beziehung.
Abraham, erzählt die Tora, war lange kinderlos geblieben. Da legte seine Frau Sarah ihm ihre Magd Hagar in die Arme. Hagar
wurde schwanger und gebar den Ismael. Als Sarah bald darauf selbst schwanger wurde und den Isaak gebar, drängte sie Abraham,
sich von der Magd und ihrem Kind zu trennen. Abraham gehorchte seiner Frau, und so wurde Isaak, ich erzählte es schon, zum
Stammvater Israels. Doch auch Ismael, den Erstgeborenen, segnete der Engel und sprach: Ich will seine Nachkommenschaft mehren,
und »ein Wildesel-Mensch wird er sein, alle seine Brüder wird er provozieren«. So charakterisiert die Hebräische Bibel Israels
nächste Nachbarn, die Araber.
Über Ismael wird Muhammad den Islam zurückdatieren bis auf Abraham. Ismaeliter hießen die Stämme Arabiens bei den Juden wie
den Christen. Die arabische Halbinsel war kein kulturelles Niemandsland. Gerade Mekka, ihr Handelszentrum, war ein Kulturkonglomerat,
das nur auf den Einen zu warten schien, auf Allah und seinen Gesandten Muhammad.
|163| Muhammad, ein Kaufmann auf Reisen
Es ist ein völlig anderer Kulturkreis, der uns Europäern da begegnet. Schon die Kindheit und die Jugend des Propheten versetzen
uns in ein Beduinenmilieu. Amin, Muhammads Geburtsname, war dem Namen seiner Mutter Amina nachgebildet. Deren semitische Wurzel
ist gut erkennbar: Amen, das heißt »vertrauenswürdig«. Der Vater, vor der Geburt Muhammads gestorben, gehörte zu den wohl
situierten Familien der Metropole Mekka. Als Geburtsjahr des Propheten nimmt man das Jahr 570 an. Auch die Mutter Amina soll
früh verstorben sein. Der Junge wächst jedenfalls in beduinischer Umgebung unter der Obhut seines Onkels Abu Talib heran.
Dieser blieb bis zu seinem Tod um seinen Schützling besorgt, ein Anhänger von dessen neuer Religion ist er allerdings nie
geworden.
Seit wann nannte Amin sich Muhammad? Das wissen wir nicht, ebenso wie viele andere Dinge aus seinen jüngeren Jahren, ehe ihn
mit 40 die Berufung erreichte. Zwei Drittel des Prophetenlebens liegen im Dunkeln, nachträglich aufgefüllt durch zahllose
Legenden. Onkel Abu Talib wird den Jungen gewiss ins Handelsgeschäft eingeführt haben. Und darin musste sein Schützling sehr
erfolgreich gewesen sein, denn eine wohlhabende Kaufmannswitwe bot ihm, dem Jüngeren, die Ehe an. Ein Glücksfall für den Verwaisten,
die Ehe mit Kadisha reifte zur erfüllten Partnerschaft, war ein vertrauensvolles Geben und Nehmen. Das Paar zeugte vier Töchter
und mehrere Söhne. Muhammads männliche Nachkommen starben allerdings noch im Kindesalter.
Als Kaufmann unternahm Muhammad viele weite Reisen, wohl auch bis in den christlichen Großraum Syrien, um die sich manche
Geschichten ranken.
»Auf einer seiner Reisen gelangte er nach Jerusalem. Dort lernte er einen christlichen Mönch Buheira kennen. Der fragte Muhammad
nach seiner Religion und merkte, dass er Heide war. Das
Weitere Kostenlose Bücher