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Die Weltreligionen. Vorgestellt von Arnulf Zitelmann

Titel: Die Weltreligionen. Vorgestellt von Arnulf Zitelmann Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Arnulf: Zitelmann
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zuschreibt:
     »Hier stehe ich, ich kann nicht anders!«
    So kam der Koran zu Muhammad, als Überwältigung, jedes Mal wieder, Sure um Sure. »Kein einziges Mal erfuhr ich eine Offenbarung«,
     berichtete er, »ohne das Gefühl zu haben, dass mir die Seele aus der Brust gerissen wurde.« Muhammad hat sich die Texte nicht
     einfach aus den Fingern gesogen.
    Alle Menschen, die Texte produzieren, Songs, Drehbücher, Gedichte und Romane, kennen das Gefühl von Entrücktheit oder Verrücktheit,
     wenn ihnen plötzlich die richtige Idee kommt und sie wie im Fieber anfangen zu schreiben. Gewiss, gewiss, das ist nur von
     Ferne zu vergleichen mit den großen Eingebungen der Religionsgeschichte, aber eben doch ähnlich. Muhammads Gefährten beschrieben
     mehrfach den Zustand des Propheten, wenn ihn ungerufen, spontan die Offenbarung überkam: Sein Gesicht verfärbte sich, Schweiß
     brach aus, er bedeckte seinen Kopf mit dem Mantel. Wenn er diesen wieder zurückschlug, |168| war sein Gesicht ruhig. Dann öffnete er den Mund, und eine neue Sure kam in die Welt. Fertig, ohne Zaudern und Zögern, bildeten
     sich die Worte, literarisch perfekt (wenigstens gilt das für die ersten atemlosen Suren-Texte), darauf wiederholte er sie,
     ein zweites, ein drittes Mal. Bis jeder der Gläubigen sie mitsprechen konnte.
    »Trag vor in des Herrn Namen.« Muhammad auf dem Berg Hira.
    |168| Der Prophet gilt nichts in seiner Vaterstadt
    Mit dieser Botschaft sammelte Muhammad in Mekka seine erste Gemeinde, die Umma, um sich. Er verkündete der Stadt den einen,
     den Einzigen Gott. Wie in der 96. Sure, die der Schriftsteller und Orientalist Friedrich Rückert im 19. Jahrhundert ins Deutsche
     übertrug:
    »Soll ich schwören bei dieser Stadt? (Denn du wohnst in dieser Stadt.) Beim Säemann und seiner Saat! Wir erschufen den Menschen
     zu harter Tat. Meint er, dass niemand Gewalt auf ihn hat? Er spricht: O wie vieles Gut ich zertrat! Meint er, dass niemand
     gesehn ihn hat? Wer hat ihm die Augen bereitet? Und die Lippen ihm geweitet? Und auf den Scheideweg ihn geleitet? Doch er
     erklimmt nicht den hohen Rand. Weißt du, was ist der hohe Rand? Zu lösen der Gefangenen Band; zu speisen, wann der Hunger
     im Land, den Waisen, der dir anverwandt, den Armen, der dir unbekannt.«
    Keine Übersetzung reicht auch nur entfernt an den Klang, die eruptive Sprache des Originals heran. Doch in der Rückertschen
     Sprache zittert noch die prophetische Inbrunst. Hingerissen von der allgegenwärtigen Präsenz des Allgewaltigen. Was sind die
     Idole, jene Fetische der Kaaba schon gegen ihn? Ein Streiter ist der Prophet, dem die Wut Allahs gegen die Götzen aus den
     Augen blitzt. Wer wagt es, dem Höchsten menschliches Gemächte an die Seite zu stellen? Er ist der Eine, und neben ihm ist
     keiner! Und weil Allah der Eine ist, muss Mekka, der Stadt, Einheit gepredigt werden, der Wüstenmetropole, die von den Gegensätzen
     zwischen Reichen und Armen, Herren und Sklaven, in einem Dauerkrieg zerrissen wird. Im Namen des Einen, fordert sein Bote
     Muhammad den sozialen Ausgleich, die Befriedung der Gegensätze.
    So nennen sich bald seine Leute: die »Befriedeten«, die Muslime, die dem Einen »Ergebenen«. Gottesfriede und sozialer Friede
     sind eins, nicht voneinander zu trennen. Am Horizont steht der Richtende, wartet schon Allahs Gericht: »Wer Gutes vom Gewicht
     eines Staubkorns tut, wird es sehen – und wer Böses vom Gewicht eines Staubkorns tut, der wird es gleichfalls sehen!« Seine |169| Berufung wird zum Lebensparadigma des Propheten: »Hat er dich nicht als Waise gefunden und dir Aufnahme gewährt? Dich auf
     dem Irrweg gefunden und dich recht geleitet? Dich bedürftig gefunden und reich gemacht?«, hält ihm der Himmelsherr vor. »Auch
     du sollst gegen die Waise nicht gewalttätig sein, und den Bettler sollst du nicht anfahren.« So einfach ist die Botschaft
     Muhammads, es ist nichts Verwinkeltes daran.
    Muhammad gewinnt nicht nur Freunde. Größer sind die Widerstände, die sich vor ihm auftürmen. Der Prophet gilt nichts in seiner
     Vaterstadt! Diese bittere Erfahrung bekommt auch Muhammad zu spüren. »Kein Mensch brachte, was du bringst, und kam mit dem
     Leben davon!« Nein, man hat ihn nicht gleich aus der Stadt gejagt. So war es nicht. Es kam schlimmer. Man erzählt zum Beispiel,
     dass die Mekkaner dem zum Gebet ausgestreckten Gesandten einen blutigen Kamelfoetus auf den Rücken klatschten. Muhammad unterbrach
     seine Andacht nicht. Nur eine

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