Die Werte Der Modernen Welt Unter Beruecksichtigung Diverser Kleintiere
die trockenen Toastbrötchen unter dem Wasserhahn an (ein alter Trick aus Solidarity Hall), toastet sie und isst sie langsam, während er aus dem Fenster sieht, auf triste Wohnblocks und räudige Grasflächen mit blattlosen Bäumen. Das Zimmer ist klein, stickig und voller Nippes, angeschlagene Souvenirs aus irgendwelchen trübseligen Badeorten, verblasste Monet-Drucke, Porzellantierchen. Alles wirkt so banal – kann diese Wohnung wirklich der Schauplatz des brutalen Dramas sein, das er letzte Nacht mit angesehen hat? Oder hat er alles nur geträumt? Moment mal – hat er nicht Fotos gemacht? Er fischt sein Handy aus der Jackentasche, aber er findet nur ein verwackeltes Bild von der Kuppel von St. Paul’s.
Das Zimmer, in dem Juliette (er kann sie sich nicht als Margaret vorstellen) ihre Kunden empfängt, der Raum zwischen dem Schlafzimmer und dem Wohnzimmer, ist abgeschlossen, also probiert er die Tür zu ihrem Schlafzimmer. Beastie ist wieder aufgetaucht, knurrend und schnappend, mit heraushängender Zunge, sein Atem warm und faulig. Mit dem Fuß schiebtSerge den Hund auf den Flur, schließt die Tür und beginnt das Zimmer zu untersuchen. Der übliche Frauenkram – Unterhosen, Strumpfhosen, Tampons, Kosmetiktücher – nichts, was auf Peitschenaktivitäten hindeutet.
Bestimmt hat sie irgendwo einen Terminkalender oder eine Liste ihrer Kunden. Auf dem Nachttisch liegt ein Taschenbuch, ein Roman mit dem Titel ›Zwischen den Laken‹, und darunter ein Heftchen, das sich als eine Art Gebrauchsanweisung entpuppt für ein Gerät, das aussieht wie eine an ein Bett montierte Miniwaschmaschine. ›Aqua-Clinic Colon-Hydro-Therapie‹. Seltsam. An der Wand hängt ein Foto von Juliette, viel jünger, in Schwesterntracht, so ähnlich wie die von gestern. Vielleicht ist sie wirklich Krankenschwester. Während er sich umsieht, kratzt und bellt die ganze Zeit der Hund vor der Tür.
Er öffnet die Tür vorsichtig, doch Beastie hat ihn erwartet und wirft sich knurrend mit gebleckten Zähnen in den Türspalt. Serge stemmt sich mit aller Kraft gegen die Tür und erwischt dabei Beastie. Der Hund jault vor Schmerz auf, dann fällt er auf den Boden und rollt auf den Rücken. Blut spritzt auf den Teppich.
Serge steht da und weiß nicht, was er tun soll, als er ein Geräusch hört. Das Peitschenknallen. Das langgezogene schaudernde Stöhnen. Er erstarrt, all seine Sinne gespannt. Jetzt, bei Tageslicht, klingt das Geräusch weniger menschlich, sondern eher mechanisch. Das Komische ist, es scheint nicht aus dem abgeschlossenen Zimmer nebenan zu kommen, sondern vom anderen Ende des Flurs. Ja, es kommt von draußen. Er sieht Beastie an, erwartet eine Reaktion, aber der Hund scheint das Bewusstsein verloren zu haben. Oder vielleicht ist er tot. Ihn packt die Reue. Was für ein mieser Kerl er ist. So bedankt er sich für Juliettes Hilfe – er bringt ihren Liebling um! Dann hört er noch ein irritierendes Geräusch: klingeling!
Hastig zieht er den schlaffen Körper des Pudels ins Schlafzimmer und schließt die Tür. Auf dem Teppich ist nur eineleichte Blutspur zu sehen – darum wird er sich später kümmern. Er drückt das Auge an den Türspion, doch das Gesicht draußen ist zu klein und zu verzerrt, um es zu erkennen. Er zögert. Der gesunde Menschenverstand rät ihm, so zu tun, als wäre niemand zu Hause, aber halb in der Hoffnung, Chicken draußen vor der Tür stehen zu sehen, macht er auf.
»Hallo.«
»Hallo.« Serge wird rot.
»Wartest du auch auf ...?«
»Sie ist unterwegs«, sagt Serge.
»Ich habe einen Termin. Ich bin ein bisschen zu früh.«
»Willst du reinkommen und warten?«
»Danke.«
Der Hamburger folgt ihm ins Wohnzimmer und setzt sich steif, die Knie zusammengepresst, an ein Ende des Sofas. Serge setzt sich ans andere Ende. Zwischen ihnen liegt ein Meter verlegenen Schweigens.
Nach einer Weile fragt der Hamburger höflich: »Kommst du oft hierher?«
»Nein. Ich bin das erste Mal hier. Ich bin mir nicht ganz sicher ...«
Er wünschte, er hätte nicht aufgemacht. Er wünschte, er könnte einen Tierarzt rufen, der nach Beastie sieht. Er hört ein leises Winseln aus dem Schlafzimmer. Der Hamburger hört es auch, aber er interpretiert es falsch.
»Du brauchst keine Angst zu haben, Serge. Am Anfang ist es ein bisschen unangenehm. Aber man gewöhnt sich schnell dran.«
»Wirklich?«
»Danach fühlst du dich besser.«
»Das hoffe ich«, murmelt er.
»Die Natur unserer Arbeit ist nicht sehr bekömmlich. Wir sitzen
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