Die Werte Der Modernen Welt Unter Beruecksichtigung Diverser Kleintiere
geweint.
»Tut mir leid, Jason. Was ist denn passiert?«
»Der Herd ist explodiert, und jetzt hat Edenthorpe dichtgemacht, also kriegt sie kein Geld mehr, und jetzt muss sie sich entscheiden, ob sie einen neuen Herd oder die Üpotheke zahlen soll.«
Sagt er die Wahrheit? Bei Jason weiß man nie, was man glauben soll. Er ist vielleicht der Letzte in der Klasse, wenn es ums Lesen geht, aber dafür hat er die beste Nase fürs Geschäft.
»Die Sache ist doch heute erst passiert, Jason. Wie kann sie jetzt schon mit den Zahlungen im Rückstand sein?«
Seine Antwort kommt so prompt, als hätte er mit der Frage gerechnet. »Wegen dem Handyvertrag kriegt sie den neuen Herd aus dem Katalog nicht.«
»Aber warum –?«
»Weil wir in den Ferien nach Cromer gefahren sind. Mit meiner Oma.«
»Cromer?«
»Letzten August. Meine Oma hat einen Wohnwagen da. Das war echt schön. Ich hab mit so ’ner Kleinen rumgemacht. Aber in dem Monat hat meine Mam vergessen, ihre Handyrechnung zu bezahlen. Und dann ist der Herd explodiert. Und dann hat sie einen Brief gekriegt, in dem steht, wenn sie die Üpotheke nicht zahlt, reportionieren sie uns um.«
»Reportionieren?«
»Sie nehmen uns das Haus weg, Miss.« Er starrt auf den Boden vor ihren Füßen.
Sie will ihn in den Arm nehmen und drücken, aber so was dürfen Lehrer heutzutage nicht mehr. Gleichzeitig fragt sie sich, wie viel von seinem verworrenen Bericht über die Taylor’schen Finanzen wahr ist und wie viel er dazuerfunden hat. Ist der Herd wirklich explodiert? Wurde jemand verletzt? Warum hat Mrs. Taylor eine Hypothek, wenn alle anderen hier in Sozialwohnungen leben? Und an irgendetwas erinnert sie das Wort Cromer ...
»Kann dein Vater denn nichts machen, Jason?«
»Mein Vater ist tot, Miss. Er war ’n Kriegsheld. Deswegen ham sie Mam überhaupt die Üpotheke gegeben.«
»Wirklich?«
Spielt er es oder hört sie wirklich einen Anklang von Stolz in seiner Stimme?
»Ja, und der Mann hat gesagt, es spielt keine Rolle, ob mein Dad tot ist, weil sie Mam weiter seinen Lohn geben müssen, als ob er noch lebendig wär.«
»Wer hat das gesagt?«
»Der, der ihr die Üpotheke gegeben hat. First Class Finance.«
Clara seufzt und weiß, hier ist sie überfordert. »Deine Mumbraucht jemanden, der sie richtig berät, Jason. Für solche Fälle gibt es die Bürgerberatungsstelle.«
»Da war sie schon. Die können nix machen.«
»Warum geht sie nicht zu dem Stadtrat, mit dem sie am Gemeindetag geredet hat? Malcolm Loxley? Vielleicht kann er helfen.«
Schulterzuckend nimmt Jason seine Blätter. »Ich geh mal zum Hausmeister. Der hilft mir sicher wegen dem Herd.«
Einen Moment später sieht sie durchs Fenster, wie er in Richtung Heizkeller stapft.
Um vier wartet Clara im leeren Klassenzimmer auf Oolie, die nach der Arbeit von Edna, der Managerin, in der Schule vorbeigebracht werden soll, weil Marcus und Doro bei einem Treffen der Kleingärtner sind. Sie räumt die Spuren des Schultags weg und sortiert die Bücher nach Schwierigkeitsgrad, während sie die Uhr im Auge behält. Bald ist es auch mit Oolies Job zu Ende, denkt sie. Gerade als sie angefangen hat, sich zu lösen und ihr eigenes Leben zu leben. Selbst das bisschen finanzielle Unabhängigkeit – das Feriengeld, das sie in der Kaffeedose sammelt, die Freiheit, sich Süßigkeiten zu kaufen, wenn Doro es nicht mitbekommt – hat ihr Selbstvertrauen gestärkt. Natürlich wird es andere Familien viel schwerer treffen. Jason ist immer noch da, wie sie sieht, er steht im Regen am Tor und tritt von einem Fuß auf den anderen. Warum kommt er nicht rein und wartet drinnen? Er hat sich die Baumwollkapuze über den Kopf gezogen, doch sie ist schon völlig durchweicht. Er erinnert sie an einen durchnässten grauen kleinen Welpen.
Endlich fährt Ednas silberner Corsa auf den Parkplatz und Oolie steigt aus und hält sich eine Plastiktüte über den Kopf. Clara winkt ihr durchs Fenster, zieht sich den Regenmantel über und geht hinaus. Sie winken Edna nach, als sie abfährt.
Jason stellt sich zu ihnen. »Hey, Miss, ist das Ihre Spasti-Schwester?«
Er und Oolie grinsen sich an, in gegenseitigem Wiedererkennen.
In diesem Moment kommt eine Frau in einem schwarzen Regenmantel mit einem roten Regenschirm die Straße heraufgehastet, wobei sie mit ihren hochhackigen Schuhen sorgfältig den Pfützen ausweicht – ja, es ist Megan. Clara ist sich ganz sicher. Ihr Gesicht ist älter, und ihr Haar, das früher lang war, ist kurz und glatt.
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