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Die Werte Der Modernen Welt Unter Beruecksichtigung Diverser Kleintiere

Die Werte Der Modernen Welt Unter Beruecksichtigung Diverser Kleintiere

Titel: Die Werte Der Modernen Welt Unter Beruecksichtigung Diverser Kleintiere Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Marina Lewycka
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Ziegelstein auf. »Ich meine es ernst!«
    Die beiden drehten sich um und rannten davon, über die Schulter riefen sie: »Missgeburt, Missgeburt, Missgeburt!«
    Oolie-Anna klammerte sich heulend an Claras Beine.
    »Alles ist gut«, sagte Clara. »Das sind nur ein paar Gestörte. Komm, wir gehen.«
    Als sie zu Hause ankamen, stand die Tür offen und Moira Lafferty lag im Wohnzimmer auf dem Sofa und quasselte ins Telefon, mit silbernen Ringen an den lila lackierten Zehen und klimpernden Muschelohrringen. Sie winkte den Kindern mit der freien Hand zu, verströmte einen leichten Geruch nach Patschuli und Schweiß und quasselte weiter.
    Eigentlich mochte Clara Moiras wohlwollend nachlässige Art den Kindern gegenüber. Moira arbeitete zwei Tage die Woche in einer Reha-Klinik für Menschen mit Hirnverletzungen, und sie behandelte auch die Kinder, als hätten sie einen leichtenDachschaden. Wenn sie mit ihnen am Küchentisch saß und Fingerpuppen oder Muschelketten bastelte, durften sie mitmachen oder den Kühlschrank plündern – gewöhnlich war nicht viel drin – oder einfach fernsehen. Doch seit kurzem gab es einen neuen Mann in Moiras Leben, und ihre Konzentration hatte einen Tiefpunkt erreicht.
    Doro rastete völlig aus, als die anderen ihr erzählten, was passiert war. Die Kinder fanden es lustig, wie die Rowdys in ihre Reihenhäuser verschwunden waren und dabei eine Blutspur auf den Pflastersteinen hinterlassen hatten, aber Doro konnte nichts Witziges daran finden. Sie schrie Moira an, die sich entschuldigte, sie hätte nicht mitgekriegt, dass die Tür offen stand, das Telefon hätte geklingelt und so weiter ... außerdem war ja nichts passiert, weil Oolie-Anna von ihrem guten Karma beschützt worden war.
    Worauf Doro sich auf Moira stürzte und sie an den Haaren riss – »Ich geb dir dein verdammtes Karma!« – und Moira zu schluchzen anfing.
    Im nächsten Moment fielen sie einander in die Arme, und Doro dankte Moira, dass sie den ganzen Nachmittag auf Oolie aufgepasst hatte. Dann fingen beide an, Oolie anzuschreien, weil sie fortgelaufen war.
    Das war zu viel.
    »Sie wäre tot , wenn ich nicht gewesen wäre!« Clara stampfte mit den Füßen auf, die Augen voll Tränen. »Ihr seid beides Gestörte !« (Sie wusste, dass sie zu Hause nicht »Arschlöcher« sagen durfte.)
    »Sag dieses Wort nicht, Clara«, sagte Doro.
    Kochend vor Wut und Selbstmitleid rannte Clara nach oben in ihr Zimmer und warf sich aufs Bett. Eine Minute später kam Oolie-Anna, warf sich zu ihr aufs Bett und schniefte ebenfalls. Clara nahm sie in den Arm und erzählte ihr von den schlummernden Amseln.
    Fortan zuckelte Oolie-Anna hinter ihr her und sagte: »Erzählmir das mit den schlumpen Amsen. Du bist meine beste Schwester, Clarie. Ich verlass dich nie.«
    Und irgendwie wurde Clara die Verantwortliche für Oolie-Anna. Sie konnte nie mit Sicherheit sagen, ob sie es selbst gewollt hatte oder ob ihr die Großen die Rolle zugeschoben hatten.
    Einmal, als sie auf dem Dachboden Hausaufgaben machen wollte und Oolie sie um eine Geschichte anbettelte, steckte Doro den Kopf durch die Tür und sagte: »Wir machen jetzt Yoga, Liebes. Kannst du eine Stunde auf deine kleine Schwester aufpassen?«
    Clara fuhr wütend herum. »Warum immer ich? Warum fragst du nie Serge oder die anderen Jungs? Außerdem ist sie nicht meine Schwester, oder? Jedenfalls nicht meine richtige Schwester.«
    Doro lief dunkelrot an. »Was für ein Blödsinn! Natürlich ist sie deine Schwester.«
    Damit knallte sie die Tür zu und stapfte die Treppe hinunter. Oolie zog eine Schnute, ihre Zungenspitze erschien im Mundwinkel, und ihre kleinen Äuglein füllten sich mit Tränen.
    »Tut mir leid, Oolie. Ich hab’s nicht so gemeint.«
    »Schon gut, Clarie, ich hab dich trotzdem lieb. Du verlässt mich nie, oder, Clarie?«
    »Natürlich nicht.«
    Sie nahm sie in die Arme, und so standen sie da, Oolies Gesicht an Claras Bauch gedrückt, zusammengeschmiedet in einer klebrigen Mischung aus Liebe und Schuld, und lauschten den Klängen der Yoga-Nidra-Kassette und ›Addio Lugano Bella‹ und den Wailers und der Anfangsmelodie von ›Doctor Who‹, die alle zusammen mit dem Geruch von Patschuli, altem Kohl und scharfem Bohneneintopf auf den Dachboden heraufzogen. Nach einer Weile hörten Oolies Schultern auf zu zucken, und Clara stellte sich darauf ein, dass sie wieder einmal die Hausaufgaben ausfallen lassen musste.Trotz der häufigen Störungen bei den Hausaufgaben waren ihre Noten gut, und in

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