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Die Werte Der Modernen Welt Unter Beruecksichtigung Diverser Kleintiere

Die Werte Der Modernen Welt Unter Beruecksichtigung Diverser Kleintiere

Titel: Die Werte Der Modernen Welt Unter Beruecksichtigung Diverser Kleintiere Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Marina Lewycka
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Geburtsdaten. Ich hab den Memory-Stick von meinem Boss gefunden mit einem Haufen Fotos und einer Datei voller Geburtstage. Wenn du mir nur helfen könntest ...«
    »Junge, du bist wahnsinnig.« Otto klingt plötzlich ernst.
    »Nicht wahnsinnig. Nur ein bisschen verzweifelt. Es muss doch möglich sein, sich da reinzuhacken, oder? Nur ganz kurz?«
    Wieder Schweigen. »Hm. Hast du gesagt, du hast den Memory-Stick?«
    »Ich hatte ihn. Ich kann nachher schauen, ob er noch da ist.«
    »Weil, das Einfachste wäre wahrscheinlich, wenn wir ihm ein kleines Rootkit einbauen. Dann kannst du seine Dateien anzapfen, wenn er ihn wieder benutzt.«
    Rootkit. Nettes Wort. Klingt irgendwie gesund und bekömmlich.
    Zurück an seinem Platz, behält er die Türen im Auge und wartet ab, bis keiner auf dem Herrenklo ist, dann geht er rein, um den Memory-Stick zu holen. Als die Schwingtür hinter ihm zufällt, ist immer noch ein gedämpftes Summen aus dem Handelsraum zu hören. Er sieht unter dem Waschbecken nach, wo er den Stick platziert hat, ein wenig außer Sicht unter der Auskragung der Schüssel. Aber der Stick ist verschwunden. Er sieht noch einmal nach. Vielleicht ist er in den schmalen Spalt zwischen den Fliesen und dem Spritzschutz gerutscht, der die Rohre verdeckt. Er geht auf die Knie und legt das Gesicht auf den Boden, und dann entdeckt er ihn unter dem Abflussrohr,eine kleine glänzende braune Hülse, einen Zentimeter außerhalb seiner Reichweite. Der Spalt ist zu schmal für seine Hand, aber er hat einen Kamm in der Tasche. Er hält den Kamm zwischen den Fingerspitzen und versucht damit unter den Spritzschutz zu fahren. Während er dies tut, hört er, wie die Tür aufgeht, und im nächsten Moment schreiten zwei polierte braune Schuhe über die Fliesen auf die Urinale zu.
    »Probleme, Kumpel?« Eine Stimme mit einem nasalen australischen Akzent. Es muss der neue VP vom Commodities-Team sein, an dessen Namen Serge sich nicht erinnert.
    »Ja, ich habe was verloren.«
    Der Aussie pinkelt, wäscht sich die Hände, dann kniet er sich neben ihn auf den Boden und späht unter den Spritzschutz. Genau in diesem Moment erwischt Serge den Stick mit dem Kamm und gibt ihm einen festen Schubs. Der USB-Stick ist leichter, als er dachte. Er fliegt in ihre Richtung, direkt auf den Australier zu, der das Gesicht neben Serges auf die Fliesen gelegt hat. Der Stick prallt vom Boden ab und bleibt dann in den blonden Haaren des Australiers hängen. Er steht auf, fummelt sich das Ding aus dem Haar und reicht es Serge. Nur dass es gar kein USB-Stick ist, sondern eine tote Kakerlake.
    »Ist das deine?«, fragt er. Seine Augen sind blassblau. Er sieht auch ein bisschen blass um die Nase aus.
    Serge versucht ein kryptisches Lächeln. »Meine Hauskakerlake. Heißt Dick Fuld.«
    Der Australier wirft den Kopf zurück und lacht laut, bis er sich am Waschbecken festhalten muss.
    »Sieht so aus, als wäre er tot.«
    »Ja. Schade ... stand wohl nicht so gut im Futter.«
    Während der Rest im Handelsraum an den Bildschirmen klebt und das Drama des Lehman-Kollaps verfolgt, schleicht sich Serge auf die Behindertentoilette und ruft Otto an. Weil niemand rangeht, schickt er ihm eine SMS.
    Stick ist weg.
    Dann ruft er bei seiner Bank an und schafft es, eine weitere Hypothek auf seine Wohnung aufzunehmen – eine Investition, die er sich von Anfang an kaum leisten konnte, aber er hofft, dass der Wert inzwischen in die Höhe geschossen ist. Wenigstens sind die Zinsen niedriger als bei seiner Kreditkarte und dem Spread-Betting-Account. Der schleimige Widerling am anderen Ende der Leitung erklärt ihm mit kriecherischer Höflichkeit, dass sie ihm nur 200 000 Pfund leihen können. Etwas an seiner Art erinnert Serge an die tote Kakerlake in seiner Tasche. Als er sie herausklauben will, stellt er fest, dass ein Flügel abgegangen ist. Er wirft sie ins Klo und zieht die Spülung.
    Er hat kein Vertrauen in Spread-Betting mehr, also ruft er seinen Broker an, um ein paar gewöhnliche Orders zu erteilen, die er sorgfältig absichert, wieder oben im vertrauten Yorkshire-Territorium, das ihm schon vorher Glück gebracht hat. Danach verbringt er den Rest des Montagnachmittags in einem wirren Nebel und tut so, als würde er den Lehman-Kollaps quantifizieren, wenn Tim the Finn ihm über die Schulter sieht. Selbst die leichte Berührung von Maroushkas Arm an seinem Rücken, als sie auf dem Weg zur Cafeteria an ihm vorbeigeht, erregt ihn nicht.
    Erst am Abend ruft Otto ihn

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