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Die Werte Der Modernen Welt Unter Beruecksichtigung Diverser Kleintiere

Die Werte Der Modernen Welt Unter Beruecksichtigung Diverser Kleintiere

Titel: Die Werte Der Modernen Welt Unter Beruecksichtigung Diverser Kleintiere Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Marina Lewycka
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der Oberstufe begann sie Bewerbungen an Universitäten zu schicken. Als Oolie Wind davon bekam, dass Clara weggehen würde, brach sie in ein solches Geheul aus, dass Doro eingreifen musste.
    »Alles ist gut. Sie hat dich immer noch lieb, Oolie. Aber sie muss jetzt ihr eigenes Leben führen.«
    Sheffield University war weit genug weg, um Clara Unabhängigkeit zu bieten, und nah genug, dass sie an den Wochenenden nach Hause fahren konnte. Nachdem sie Examen und Referendariat hinter sich hatte, sah sie sich nach einer Stelle in der Gegend um, doch trotz Oolies tränenreichem Betteln zog sie nicht nach Doncaster zurück. Ihre helle neue Wohnung mit dem sauberen Bad, den großen Fenstern mit Pflanzen auf der Fensterbank und dem Blick auf einen Platz mit Cafés und Brunnen ist ihr Kompromiss zwischen dem Sog der Verantwortung und dem Ruf der Autonomie.
    Sie stellt den Föhn an und lässt von dem warmen Luftstrom den Stress und den Ärger des Tages wegwehen. Im Bad ist es dunstig, und es riecht nach Kokosnuss und Frische. Der Luxus ihrer eigenen Wohnung mit Zentralheizung, unbegrenztem Heißwasser und ohne fremdes schmutziges Geschirr in der Spüle löst immer noch ein Glücksgefühl in ihr aus, das sie erschauern lässt.
    Die kleinen Rowdys, die Oolie damals aufgelauert haben, waren genau wie die verwahrlosten Kinder, die sie heute unterrichtet; der Unterschied ist nur, dass sie jetzt ihre Verletzlichkeit sieht, ihre Angst vor dem Unbekannten. Ja, sie und Serge waren die ersten Kinder ihrer Schule, die eine Uni besuchten, sie hatten das Glück, Lehrer zu haben, die besonderen Einsatz zeigten, um sie zu fördern. Genau das will sie auch. Doch heutzutage wird Engagement belächelt, der große Anreiz ist das Geld. Heute haben die Leute das Sagen, die sich ihr Leben lang nur um ihr eigenes Wohl gekümmert haben. Kein Wunder, dassdie armen Kinder klauen, was sie in die Finger kriegen. Sie wickelt sich ein Handtuch um und geht barfuß in die Küche, um Wasser aufzusetzen.
    Außerdem waren sowieso nur dreißig Pfund in ihrem Portemonnaie.

Serge
    Dick Fuld
    Als Serge am Montagmorgen, dem 15. September 2008, ins Büro kommt, eilt er sofort mit dem geborgten USB-Stick in der Innentasche über den Flur zum Männerklo und deponiert ihn unter einem Waschbecken. Dann geht er zurück in den Handelsraum.
    Keiner hat es bemerkt.
    Mittags sind die Nachrichten vom endgültigen Lehman-Brothers-Kollaps auf allen Bildschirmen, und in dem folgenden Durcheinander achtet keiner darauf, dass Serge das Gebäude verlässt, um vom St. Paul’s Square Otto anzurufen.
    »Hier ist Serge. Ich habe ein kleines Problem.«
    »Ja? Erzähl.« Otto klingt nervös, als hätte er Speed genommen oder so was.
    »Ich habe spekuliert und verloren.«
    »Mhmm. Ihr Geld oder deins?«
    »Meins. Und ich kann meine Schulden nicht decken.«
    »Was ist passiert?« Ottos Stimme hat einen besorgten Unterton. Gewöhnlich ist er derjenige, der einen guten Rat braucht, nicht der, der ihn erteilt.
    »Ich habe bei ein paar Aktien auf einen Spread gewettet. Ich dachte, ich hätte da was entdeckt. Das Fibonacci-Retracement. Erinnerst du dich an die Kaninchen? Ich dachte, die Aktien gehen runter. Aber dann sind sie in die falsche Richtung abgezischt.Ich hab vierzig Mille verloren.« Serge lacht trocken, als wäre das Ganze ein Witz.
    Selbst wenn Otto ihm bis morgen jeden Penny zurückzahlen würde, wäre es nur ein Tropfen auf den heißen Stein.
    »Vierzig Mille. Heilige Scheiße.« Otto klingt echt erschüttert. »Wenn du dein Geld zurückbrauchst, Mann, können wir sicher ...« Er bricht ab.
    »Es hat nichts mit dem Geld zu tun, das ich euch geliehen habe. Ich hab hier nur einen Fehler gemacht, das ist alles.«
    »Ich dachte, du kennst dich mit dem Zeug aus. Ich dachte, du wärst der Zahlen-Flüsterer.«
    »Niemand kennt sich so richtig mit dem Zeug aus. Wir benutzen ein paar Formeln wie das Fibonacci-Phi oder die Gauß-Copula, um das Risiko zu managen. Aber du weißt ja, wie es mit Formeln ist – wenn man Mist eingibt, kommt auch Mist raus.« Er versucht ruhig und locker zu klingen, so als hätte er alles unter Kontrolle.
    »Mann, und mit so was verdienst du dein Geld?«
    Im Hintergrund hört er Mollys Stimme und die gedämpften Klänge einer Bach-Fuge. Alles klingt so häuslich und gemütlich. Zum ersten Mal, seit er Otto kennt, spürt er einen Stich von Neid.
    »Wir arbeiten in der Securitisation, also Verbriefung. Wir machen Hypotheken und Kredite zu Wertpapieren. Dann

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