Die Werte Der Modernen Welt Unter Beruecksichtigung Diverser Kleintiere

Finger gewickelten Handtuchecke sorgfältig die Ohren innen abtrocknet. Selbst nach all den Jahren lässt sie bei ihren Ohren besondere Vorsicht walten. Ja, wenn Doro sich richtig um sie gekümmert hätte, statt mit dem einen Auge Serges Genie im Blick zu haben und mit dem anderen Oolies Behinderung, dann wäre ihr aufgefallen, dass Claras regelmäßige Ohrenschmerzen nach dem Haarewaschen nicht normal waren und nicht vom Shampoo kamen wie vielleicht das Brennen in den Augen. Und es war auch nicht Doro, sondern Chris Watt, die früher Krankenschwester gewesen war, die eines Morgens die Blut- und Eiterspuren auf Claras Kissen entdeckte.
    »Leimohr«, erklärte sie, und dann wurde Clara von Marcus in die Kinderarztpraxis in Askern geschleppt. Er hielt im schäbigen, nach Desinfektionsmittel riechenden Wartezimmer ihre Hand und zeigte ihr die Narbe, wo man ihm den Blimbam entfernt hatte. Mit dem Finger fuhr sie über die dünne weiße Linie unter dem Gummi seiner Unterhose und fragte sich, ob sie auch einen Blimbam hatte und ob es wehtat, ihn sich entfernen zu lassen.
    Die Paukendrainage, als sie dreizehn war, veränderte alles. Clara wurde besser in der Schule und nahm aktiv am Unterricht teil, statt mit den schlechten Schülern in der letzten Reihe herumzulümmeln. Die Welt wurde viel klarer und gleichzeitig profaner. In den Jahren vor der Paukendrainage waren anderer Leute Gespräche, wenn auch gedämpft, oft faszinierend, magisch, und forderten ihre Fantasie heraus, um die fehlenden Silben zu ergänzen. Mehr als Oolies Geburt oder ihre erstePeriode war es das Einsetzen der Paukenröhrchen in Claras Ohren, das das Ende ihrer Kindheit einläutete.
    Nachdem Megan mit Knirschkarl fortgezogen war, entspannte sich die Atmosphäre in der Kommune, alle wurden gelassener. Serge ließ sich von Nick Holliday stundenlang irgendwelche Strebersachen erklären, und Otto zottelte hinterdrein. Tosser und Kollon spielten mit Star in Spinnland und zeichneten seltsame Bilder von Spinnmännern und Spinnfrauen mit langen, dünnen Gliedern, die in Tunneln hausten. (Ja, die jüngst mit Paukenröhrchen versehene Clara versuchte ihnen zu erklären, dass es Finnland hieß, nicht Spinnland, aber sie waren aus London und behaupteten, das sei dasselbe.) Clara fing an, in ihrem Zimmer Romane zu lesen und Oolie-Anna aus dem Weg zu gehen, weil Oolie zwar süß war, aber auch anstrengend und Clara keine Lust hatte, zu stundenlangen Babysitting-Diensten verdonnert zu werden, während die Großen in ihren endlosen Meetings herumlaberten.
    Dann kam der Tag, als Oolie-Anna selbst den Status quo veränderte.
    Auf dem Schulweg nahmen sie immer die Abkürzung durch die Prospects, ein Labyrinth baufälliger Reihenhäuser, die in den dreißiger Jahren für die Bergarbeiter der Zeche Askern zusammengezimmert worden waren. Die Haustüren führten direkt auf die Gasse, und meistens hing eine kleine Clique von Halbstarken bei den alten Latrinenhäuschen herum und machte Sprüche, wenn sie vorbeikamen. An jenem Tag ging Clara auf dem Heimweg so schnell, dass die anderen hinter ihr zurückblieben. Ihre unansehnliche Entourage war ihr peinlich, und das konstante Gezänk ging ihr auf die Nerven, vor allem Tosser und Kollon mit ihren Vogelscheuchenhaaren und den lächerlichen Namen. (Eigentlich hießen sie Toussaint und Kollontai, aber für die Kinder in der Schule war das unaussprechlich.) Mit vierzehn ist man empfindlich, was sozialen Druck angeht.
    Sie war gerade in die Prospect Street eingebogen, als ihr einkleines pummeliges Kind in einem gelben Frotteeanzug entgegengerannt kam, das Haar zerzaust, das Gesicht dunkelrot vor Anstrengung und Angst, den Mund zu einem entsetzten Schrei aufgerissen. Es war Oolie-Anna. Zwei kleine Rowdys waren hinter ihr her, die mit Ziegelsteinscherben auf ihre Beine warfen und schrien: »Lauf, du Missgeburt, lauf!«
    Oolie-Anna stolperte und warf sich an Claras Knie. Instinktiv griff Clara nach einem halben Ziegelstein und warf ihn nach den Rowdys. Blinde Wut führte ihren Arm, als sie einen der beiden auf die Nase traf. Das Blut spritzte nur so.
    »Haut ab, ihr bescheuerten Deppen!«, schrie sie. »Haut ab, oder ich bring euch um, ihr Arschlöcher!«
    Die Rowdys blieben wie angewurzelt stehen. Sie waren kleiner als Clara, aber sie waren zu zweit. Einen Moment starrten sie sie nur an. Dann sahen sie sich um, auf der Suche nach Unterstützung durch ihre sonst so wieselige Bande. Doch sie waren allein. Clara hob einen weiteren