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Die Werte Der Modernen Welt Unter Beruecksichtigung Diverser Kleintiere

Die Werte Der Modernen Welt Unter Beruecksichtigung Diverser Kleintiere

Titel: Die Werte Der Modernen Welt Unter Beruecksichtigung Diverser Kleintiere Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Marina Lewycka
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und seine Fähigkeiten darauf zu verwenden, in einem Hamsterrad herumzurennen, ist okay, solange man damit Geld macht, aber es ist demoralisierend und auslaugend, wenn man alles gibt und nichts dabei rauskommt. Der Lehman-Kollaps lässt die ganze Welt um sie herum unsicher und unwirklich wirken. Ist die FATCA als Nächstes dran?
    Das Gespräch mit Otto gestern hat ihm gutgetan, doch Otto ist ein ziemlicher Fantast und so beflissen, es ihm recht zu machen, dass er alles Mögliche versprechen würde. Es war dumm, so viel Hoffnung auf den »geborgten« Memory-Stick zu setzen. Und selbst wenn Otto an irgendwelche FATCA-Konten herankommt, heißt das nicht, dass Serges Probleme gelöst sind, es könnte sogar alles noch schlimmer werden. Die Aktien, die er mit dem Geld seiner Refinanzierung gekauft hat, gehen nirgendwohin, steigen ein bisschen, fallen ein bisschen. Serge grübelt vor sich hin, als er an seinem Platz sitzt und versucht, Zahlen in eine neue Formel zu pressen, die auch die Rückschlägemiteinbezieht, welche sich auf dem Subprime-Immobilienmarkt inzwischen häufen. Maroushka sitzt mit gesenktem Kopf an ihrem Platz und tut dasselbe.
    Endlich, am späten Nachmittag, kommt eine Nachricht von Otto. Er spürt das Vibrieren in seiner Tasche. Die SMS besteht nur aus einem Wort.
    Jinglebell
    Ach nein. Alphanumerisch. Wie offensichtlich! Wirklich, da hätte er auch selbst draufkommen können. Er steht auf und geht zum Waschraum. Als er um die Ecke biegt, geht die Tür der Behindertentoilette auf und Tim the Finn kommt heraus. Er hat einen merkwürdigen Ausdruck im Gesicht, Schmerz vielleicht, wobei Serge sich fragt, ob es im Augenblick davor nicht ein Grinsen gewesen ist.
    Als die Luft rein ist, schleicht er sich auf die Behindertentoilette und ruft Otto zurück. »Hast du einen Username?«
    »Es gibt zwei: k.porter1601 oder Kenporter1601. 1601 ist der Geburtstag der Tochter.«
    Genau wie er es sich gedacht hat. Ein Schauer der Erleichterung durchläuft seinen Körper. Dann holt er tief Luft, saugt die feuchte, muffige Luft in die Lunge. »Hotmail?«
    »Gmail. Und ich habe ein Konto gefunden. Aber es ist ein Privatkonto, kein FATCA-Konto, und offensichtlich nicht sein Hauptkonto. Er scheint es nur zum Trading zu benutzen. Soweit ich sehe, ist es überhaupt nicht bei der FATCA registriert.«
    »Ts, ts. Hast du reingesehen?«
    »Ja.«
    »Wie viel?«
    »Etwas über siebenhunderttausend. Das sollte dein Problem lösen, Bruder. Das Komische ist, in den letzten Wochen war ziemlich was los da.«
    »Ach ja?«
    Das ist interessant – wenn es ein unregistriertes Konto ist, von dem die FATCA-Aufsicht nichts weiß, wird Chicken es sicher nicht eilig haben, Aufmerksamkeit darauf zu lenken. Bestimmt macht er lieber kein Aufhebens um ein paar irreguläre Transaktionen. Solange sie nicht zu irregulär sind. Der Fehler ist immer, zu gierig zu werden.
    »Übrigens gibt es eine neue Remote-Desktop-App, mit der du übers iPhone online handeln kannst. Ich schick dir den Link.«
    »Super. Danke, Otto. Und das bleibt unser kleines Geheimnis, ja?«
    »Klar.«
    Der schwarze Panther der Angst, der auf seinem Herzen gehockt hat, gähnt, streckt sich und verschwindet mit einem geschmeidigen Sprung durch die Fliesenwand. Serge wirft die Tür auf und kehrt beschwingt in den Handelsraum zurück.
    Tim the Finn ist da und hackt auf seine Tastatur ein. Er hat nichts von Serges Abwesenheit mitbekommen. Maroushka sitzt im Glaskasten, isst einen Muffin und blättert durch ein paar ausgedruckte Diagramme. Am Ende der Reihe diskutieren die beiden Franzosen über Sarko und Carla und die Probleme bei der AIG, zwischen hektischen Einlagen von Zahlenakrobatik. Auf der anderen Seite des Handelsraums hört er die Stimme des australischen VPs, der Witze über die Notwendigkeit eines Bankenrettungsplans der Regierung macht. Auf dem riesigen Fernseher, der von der Decke hängt, beherrscht »Money Honey« Maria Bartiromo das Parkett wie eine stumme Königin mit ihren lebhaften, doch lautlosen Ansagen der Tageskurse. Die Fassade der Normalität ist intakt. Alles ist so, wie es sein sollte.

Doro
    Die verführerische Fassade
    »Hütet euch vor die verführerische Fassade des bürgerliche Feminismus«, hatte Bruno gewarnt und die Vokale dabei so-o-o verführerisch gedehnt. »Hinter seine revoltierende Äußere ist verborgen desolate Hinterland von Neurose und Unmaßigkeit.«
    Als Bruno 1985 nach Modena zurückging, beschlossen die Frauen, die ihn geliebt hatten –

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