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Die Werte Der Modernen Welt Unter Beruecksichtigung Diverser Kleintiere

Die Werte Der Modernen Welt Unter Beruecksichtigung Diverser Kleintiere

Titel: Die Werte Der Modernen Welt Unter Beruecksichtigung Diverser Kleintiere Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Marina Lewycka
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zurückrufen?«

Serge
    Der 700-Milliarden-Pfund-Rettungsschirm
    »Kann ich Sie zurückrufen?«, fragt Serges Broker.
    Und Serge sagt: »Klar«, weil er ihm schlecht sagen kann, dass er sich zum Telefonieren auf einer Behindertentoilette versteckt hat und dass sein Telefon ansonsten den ganzen Tag abgestellt ist.
    Nach dem Schreck der letzten Woche hat er beschlossen, die Finger von Kenporter1601 zu lassen und nur noch als Dr. Black zu handeln. Das einzig Überraschende ist, dass Chicken so lange gebraucht hat, bis er dahintergekommen ist. Serge nimmt seinen Taschenrechner zur Hand und kommt zu dem Schluss, dass sie quitt sind. Er hat nicht nur das ursprüngliche Geld zurückgezahlt, das er sich von dem 1601-Konto für seine Trades geliehen hat, er hat nach seiner Berechnung sogar £ 1343,20 zu viel überwiesen. Andererseits, solange Chicken nicht die gleiche Berechnung durchführt, wird ihm das nicht auffallen. Und die Sache ist natürlich die, Serge wird nie genau wissen, ob Chicken beschlossen hat, die Angelegenheit unter den Teppich zu kehren, oder ob er nur auf den richtigen Moment wartet, loszuschlagen.
    Von der Anspannung und der Ungewissheit ist ihm flau im Magen. Mittags beschließt er, das Gedränge in der FATCA-Cafeteria zu meiden und ein Sandwich auf dem St. Paul’s Walk zu essen, wo er ungehindert telefonieren kann. Der Himmel hängttief und hat die gleiche Farbe wie der Fluss, dessen kraftloses Klatschen gegen die Mauer melancholische Gedanken an die Ewigkeit, den Sinn des Lebens und den Inhalt seines Sandwichs auslöst, das schon wieder mit Krebsfleisch belegt ist.
    Er ruft seinen Broker zurück und ist angenehm überrascht, als er hört, dass Dr. Black über ein Guthaben von 599 087 Pfund verfügt. Er beschließt, die Hypothek noch nicht gleich zurückzuzahlen. Stattdessen ruft er Otto an, um sich nach ihm und Molly zu erkundigen und sicherzugehen, dass er seine Plauderneigung in Schach hält.
    »Du bist ein echter Kumpel, Bruder. Ich zahl dir alles zurück, sobald wir wieder flüssig sind«, verspricht Otto.
    »Kein Wort mehr davon. Das ist unser Geheimnis, ja?«
    »Klar.«
    »Wie geht’s Molly? Wann gibt sich das neue Free-Baby die Ehre?«
    »Noch sechs Wochen. Wir haben die ganze Wohnung mit coolem Babykram in nicht-geschlechtsspezifischen Pastellfarben ausgestattet. Dank dir, Bruder.«
    »Nicht der Rede wert. Ach übrigens, hast du in letzter Zeit mal was von Babs gehört?«
    »Ich hab nicht mit ihr geredet oder so, aber ich hab gesehen, dass sie sich auf Facebook geoutet hat. Hehe.«
    »Das gibt’s nicht!«
    Babs – eine Lesbe! Die Vorstellung macht ihn irgendwie an. Vielleicht sollte er sich doch mal wieder bei ihr melden.
    Der Gedanke lenkt ihn so ab, dass er vergisst, sein Telefon abzustellen, und einen Augenblick später klingelt es in seiner Tasche. Er geht ran, ohne aufs Display zu sehen. Andernfalls hätte er es wahrscheinlich klingeln lassen. Es ist Doro.
    »Mein Schatz! Endlich erwische ich dich! Ich habe mir solche Sorgen gemacht! Ich dachte schon, der Erdboden hätte dich verschluckt.«
    »Kein Grund zur Sorge, Mum. Alles in Butter.«
    »Ich habe von den schrecklichen Skandalen in Cambridge gelesen. Unglaublich, was diese Akademiker sich ausdenken.«
    »Oh. Ja. Schrecklich.«
    »Aber dein Institut ist da nicht beteiligt, oder?«
    »Äh ... nein, nicht wirklich.«
    »Aber in der Mathematik soll es besonders schlimm gewesen sein.«
    »Ach, das war mehr Informatik. Nicht meine Art Mathe.«
    »Ach so. Informatik. Klingt scheußlich.«
    »Na ja. Ein bisschen trocken.«
    »Und was macht die Dissertation?«
    »Nicht schlecht. Geht voran. Mum ...«
    »Serge, ich hatte eine Idee – warum kommst du nicht für ein paar Wochen nach Hause nach Doncaster, um sie fertig zu schreiben? Du könntest in deinem alten Zimmer wohnen und dich richtig konzentrieren, ohne die ganzen Ablenkungen des Studentenlebens.«
    »Ich denke drüber nach.«
    »Ich meine es ernst. Wie wäre es nächste Woche?«
    »Hm ... aber ich brauche die Bibliothek ...«
    »Findest du heutzutage nicht alles online?«
    »Nicht alles. Aber danke, Mum. Ich werde auf jeden Fall drüber nachdenken.«
    Er wirft den Rest seines Sandwichs in den Fluss, und sofort stürzen sich die Möwen darauf und fangen einen Streit an. Die größte, aggressivste trägt die Kruste davon, die kleineren bekommen ein paar Krümel, und da ist eine ausgemergelte mit einem schiefen Flügel, die gar nichts bekommt. Serge schüttelt noch ein paar Krumen aus

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