Die Werte Der Modernen Welt Unter Beruecksichtigung Diverser Kleintiere
bis zum Ellbogen in Brotteig versenkt. Doros Teig ist locker und luftig und zu runden Brötchen geformt, die sie aufs Blech legt. Oolies Teig ist vom zu vielen Kneten platt und grau, weil sie sich nicht die Hände gewaschen hat; außerdem ist er mit kleinen Punkten einer unbekannten Substanz gesprenkelt – möglicherweise Popel.
»So ist es gut«, ermutigt Doro sie. »Hier, mach kleine Kugeln draus und leg sie da hin.«
Beim Zusehen denkt Clara an die Zeit vor Oolies Geburt zurück, als Doro mit ihr Brot gebacken hat. Ihr Teig war auch immer so schlapp und grau.
Als Doro die Bleche in den Ofen schiebt und die Uhr einstellt, fragt Oolie Clara in lautem Flüstern: »Hast du’s ihr gesagt?«
»Was gesagt?«
»Mit meiner eigenen Wohnung. Dass ich Filmer gucken will.«
»Lass uns alle zusammen darüber reden«, sagt Clara, als Doro sich zu ihnen an den Tisch setzt.
Dann kommt Marcus mit mehreren alten Teebechern herein, die er in die Spüle stellt.
»Hallo, Clara. Wie schön, dich zu sehen.«
»Hallo, Dad.«
Sie genießt die unkomplizierte Wärme seiner Umarmung, die raue Wolle seines Pullovers, den Geruch nach Pears-Seife und Tabak. Doro setzt Wasser auf und stellt ein Kännchen Milch und Becher auf den Tisch. Einen davon, mit dem Bild eines Hamsters und einer kleinen abgeplatzten Stelle, hat Clara ihr vor rund zwanzig Jahren zum Muttertag geschenkt.
»Wie läuft es mit dem Garten?«, fragt Clara.
»Es wird ein gutes Jahr für Äpfel. Und Pflaumen.«
»Mm. Köstlich.«
»Die anderen Lehrer an deiner Schule«, sagt Doro, indem sie ziemlich auffällig das Thema wechselt, »verstehst du dich gut mit ihnen?«
»Vielleicht«, antwortet Clara argwöhnisch und fragt sich, worauf sie hinaus will.
»Und, ist jemand ... besonders Nettes dabei?«
Oolie hat keine Geduld für so was. »Sag’s ihr schon! Sag ihr das mit den Filmern!«
»Was für Filme?«, fragt Marcus.
»Oolie will in eine eigene Wohnung ziehen, damit sie Filme anschauen kann.« Clara sieht, wie ihre Eltern einen Blick wechseln. »Anscheinend hat der Sozialarbeiter so was vorgeschlagen.«
»Hast du ihr auch gesagt, was für Filme du sehen willst, Oolie?«, fragt Doro.
»Ich hab’s ihr gesagt. Mädchenspiele . Hämmerlos .«
»Nicht ›Hämmerlos‹, Oolie. Hemmungslos.«
»Na und?« Schmollend pult sich Oolie die Teigreste von den Fingern und rollt sie zu dünnen Würsten.
Doro sieht Clara an und formt lautlos mit den Lippen: »P-o-r-n-o-s.«
Clara zuckt die Schultern. Marcus zieht die Brauen hoch, nimmt die Brille ab und putzt sie ganz langsam und sorgfältig mit seinem Stofftaschentuch.
»Ich finde ...«, fängt Clara an.
Oolie schiebt sich das Teigwürstchen in die Nase.
»Lass das!«, schimpft Doro.
Oolie zieht das Teigwürstchen wieder heraus und steckt es stattdessen in den Mund.
Doro beugt sich vor und gibt Oolie einen Klaps aufs Handgelenk. Marcus legt die Hand auf Doros Arm, um sie zurückzuhalten. Doro schüttelt ihn ab. Oolie grinst.
Der Duft von frisch gebackenem Brot zieht durch die Küche. Clara schließt die Augen und lässt sich von dem Duft in die Küche in Solidarity Hall zurücktragen, wo die ganze Kommune um den gelben Tisch saß und in Hochrufe ausbrach, als Doro rotwangig und lachend einen Kuchen aus dem Ofen holte. Clara war dreizehn Jahre und sieben Monate alt, und sie feierten ihre Menarche. Alle gratulierten ihr, dass sie zur Frau geworden war.
Es war ziemlich verwirrend. Einerseits war sie glücklich, weil sie im Mittelpunkt der Aufmerksamkeit stand und weil Feste einen doch glücklich machten. Aber was war so besonders daran, eine Frau zu sein? Es gab Millionen von Frauen da draußen. Und das mit der Menstruation fand sie eigentlich nicht so toll.
Außerdem wollte sie nicht, dass die ganze Welt davon wusste – vor allem nicht ihr kleiner Bruder, der anfing, blöde Kommentare über Blutflecken zu machen, und sie jedes Mal knuffte, wenn jemand ein Glas Erdbeermarmelade auf den Tisch stellte.
»Hast du was von Serge gehört, Mum?«
»Nein.«
»Ich auch nicht. Er geht nie ans Telefon.«
»Ich schätze, er ist noch in London am Imperial College.«
»Nicht am Imperial College, Mum, am University College.« Ihre arme Mutter wird langsam ein bisschen plemplem.
»Wahrscheinlich hat er an beiden Colleges zu tun, Liebes. Kein Wunder, dass er nicht dazu kommt, uns zurückzurufen.«
»Ich wette, er hat eine neue Frau in seinem Leben. Deswegen meldet er sich nicht.«
»Was ist eigentlich aus Babs geworden?
Weitere Kostenlose Bücher