Die Werwolfbraut (German Edition)
und ein Charmeur. Wie vielen Mädchen haben Sie schon das Herz gebrochen?«
Ricardo hatte gesagt »Du hast meins gebrochen« und sie um ein baldiges Wiedersehen gebeten. Sie waren sich wieder begegnet. Geküsst hatte er sie nicht mehr. Dann war Francescas Vater, dem die Romanze zu Ohren kam, von bangen Erwartungen erfüllt den Berg zum Kastell hinaufgestiegen, um den seltsamen Verehrer seiner Tochter zur Rede zu stellen. Und jetzt war Ricardo hier und hatte um ihre Hand angehalten.
Fragend hob sie die Hand mit dem Schmuck und schaute ihren Vater an. Er nickte zustimmend. Behalt ihn, hieß das. In Michele Montalbas Miene und Blick war die Habgier für einen scharfen Beobachter klar zu erkennen. Wenn er jetzt schon solche Geschenke macht, dachte Francescas Vater, was wird erst später kommen? Wir haben unser Glück gemacht, wenn sie ihn heiratet – und das wird sie.
»Ich behalte den Schmuck«, sagte Francesca. »Einstweilen. Doch bevor ich mich endgültig entscheide, Ricardo, sollten wir noch einmal unter vier Augen sprechen. – Nicht hier«, fuhr sie rasch fort, als ihr Vater sich anschickte aufzustehen und die Stube zu verlassen. Pietro hielt sich im Hintergrund. »Irgendwo draußen – später – allein.«
»Morgen Abend«, sagte Ricardo. »Bei der Ruine vom alten Kloster? Vor Sonnenuntergang?« Francesca nickte. »Jetzt muss ich fort.« Ricardo wirkte plötzlich angespannt und hatte es eilig. Die Sonne war untergegangen. Bald musste der Vollmond zu sehen sein und sein silbriges Licht ausstrahlen. Die Werwolfsonne, wie Eingeweihte ihn nannten. »Entschuldigt mich. Wir sehen uns später.«
Damit eilte er hinaus. Kopfschüttelnd trat Michele Montalba aus der Haustür. Der Motor der schweren Limousine sprang an. Der Marchese winkte noch einmal zu den drei Montalbas und fuhr auf den Weg, zur Chaussee und in die Richtung von seinem Kastell. Düster und unheilverkündend stand es drei Kilometer entfernt am Berghang, schwarz vor dem Hintergrund des verglimmenden Abendrots.
Es dauerte nicht mehr lange, bis schaurig ein Wolf heulte. Das Geheul erklang aus der Richtung des Kastells, und es hätte von Ricardo di Lampedusa stammen können, der mit seinem Auto unterwegs war. Ein eisiger Schauer überlief Francesca. Ihre Hand, Arbeit gewohnt, trotzdem schön, umklammerte den Schmuck.
Durfte sie ihn behalten? Eine Weile später, während ihr Vater und ihr Bruder noch am Tisch saßen und das Hühnchen samt Beilagen verzehrten, betrat Francesca die Kammer ihrer schwerkranken Mutter. Für Michele und Pietro Montalba war das ein Festtag. Sie sahen die Zukunft rosarot. Francesca brachte ihrer Mutter zu essen. Sie selbst hatte keinen Bissen hinuntergebracht.
Francesca half ihrer Mutter, sich aufzurichten, und gab ihr ein Kopfkissen als Stütze in den Rücken. Maria Montalba war ausgezehrt. Ihr bleiches Gesicht erinnerte im Schein der Petroleumlampe an eine fleischlose Maske, in dem die Augen wie mit Zigarettenglut in ein Laken gebrannte Löcher waren. Blutlos und dünn waren die Lippen. Die Mutter hustete qualvoll.
Francesca musste längere Zeit warten, bis sie in der Lage war, nach der Einnahme der letzten Medizin die heiße Hühnersuppe zu essen. Von was die nächste Medizin gekauft werden sollte, war ungewiss, es sei denn, Ricardo bezahlte sie. In diesem Moment, als sie am Bett ihrer schwerkranken Mutter saß, die ohne ärztliche Hilfe, Sanatorium und Klinik bald sterben musste, beschloss Francesca alles zu tun, um ihre Mutter zu retten.
»Mama«, sagte sie und küsste die fleischlose Hand, die sie als Kind oft gestreichelt hatte. »Ich werde bald heiraten.«
»Wen? Mario Sciaso?«
»Nein, einen anderen.«
»Kind, du erzähltest mir doch, du wärst mit dem Lehrer verlobt. Was ist jetzt denn geschehen? Ein Auto ist vorgefahren. Ich habe Stimmen gehört. Es war ein Gelaufe und Getue im Haus. Bedeutender Besuch ist bei uns gewesen. – Wer war es?«
»Vater wird dir alles erzählen.«
Maria Montalba war manchmal ungeheuer hellhörig in ihrer Krankheit. Oft jedoch dämmerte sie, oder der Fieberwahn suchte sie heim und verwirrte ihre Sinne.
»Du willst die Verlobung mit Mario lösen?«, fragte die Mutter.
Francesca nickte. Es muss sein, dachte sie. Ich kann ihn nicht heiraten und meine Mutter sterben lassen. Da war aber auch noch etwas anderes bei ihr, was sie dazu bewog.
»Dieser andere Mann – liebst du ihn?«, fragte die Mutter.
Francesca senkte den Kopf, weil sie ihrer Mutter nicht in die Augen schauen wollte.
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