Die Werwolfbraut (German Edition)
stattlich, aristokratisch und schlank. Er bewegte sich mit der Sicherheit eines austrainierten Sportlers. Sein schmales Gesicht mit der Römernase wies einen Hauch von Melancholie auf und hatte ein kantiges, festgefügtes Kinn. Bezwingende stahlgraue Augen schauten unter den zusammengewachsenen Brauen hervor.
Ricardo di Lampedusa trug einen dunkelblauen Designeranzug, ein weißes Hemd und hatte ein Ziertuch um den Hals. Die brütende Hitze schien ihm nichts auszumachen, als ob er statt Blut Eiswasser in den Adern hätte. Er hielt einen Blumenstrauß in der Hand. Das Zirpen der Zikaden war deutlich zu hören, als der Marchese durch die Gartenpforte schritt.
Michele Montalban und sein Sohn Pietro begrüßten ihn an der Haustür. Francesca schaute sich das Händeschütteln an und hörte die Begrüßungsworte.
»Dürfen wir Sie zum Abendessen einladen, Marchese?«, fragte Francescas Vater. »Es ist eine große Ehre für uns. Meine Tochter werden Sie nach dem Essen sehen.«
Der würzige Geruch des auf provenzalische Art zubereiteten Hühnchens war bis draußen zu riechen. Ricardo di Lampedusa verzog jedoch das Gesicht.
»Danke, ich kann leider keinen Bissen zu mir nehmen. Der Arzt hat mir ein dreitägiges Fasten verordnet, als Diät für die Galle. Entschuldigen Sie bitte, wenn ich Ihre freundliche Einladung daher ablehnen muss, Signor Montalba.«
»Haben Sie denn gesundheitliche Probleme, Marchese?«
»Überhaupt nicht, aber Sie wissen ja, wie die Mediziner sind. Einmal jährlich lasse ich mich in Reggio di Calabria von einem Spezialisten durchchecken. Fragen Sie ihn, weshalb er auf die Idee mit dem Fasten verfallen ist.«
Reggio war die Hauptstadt von Kalabrien. Also doch, dachte Francesca. Er kann nichts essen, das ist bezeichnend.
»Aber Sie werden doch sicher ein Glas Wein mit uns trinken, Marchese?«, fragte Michele Montalba.
»Natürlich. Wie geht es Ihrer Frau Gemahlin, Signor Montalba?«
»Heute geht es ihr etwas besser. Sie ist lungenkrank, wissen Sie? Sie müsste dringend ins Sanatorium. Doch dazu fehlen uns leider die Mittel.«
Francesca schämte sich, weil ihr Vater sofort die finanzielle Misere erwähnte. Ein wenig stolzer sollte er sein, dachte sie. In fünf Minuten wird er den Marchese womöglich noch um das Geld für Mutters Sanatoriumsaufenthalt anbetteln. Francesca stand schweigend da. Die Nachbarin kam herein und schaute nach dem Essen. Sie hatte im Wohnzimmer den Tisch gedeckt. Sie bekreuzigte sich, als Rosanna ihr erzählte, dass der Marchese nichts essen konnte.
»Das ist ein böses Omen«, murmelte sie. »Ich habe es mir gedacht.« Ängstlich schaute sie aus dem Fenster und vergewisserte sich, dass die Sonne noch hoch am Himmel stand. »Drei Tage lang ist noch Vollmond.«
Michele Montalba streckte den Kopf in die Küche.
»Haltet das Hühnchen warm«, ordnete er an. »Wir essen es hinterher selbst, wenn der Marchese weg ist. Francesca, dein Bruder holt dich, sobald mein Gespräch mit dem Marchese beendet ist. Dann leistest du uns Gesellschaft.«
»Ja, Vater.«
Francescas Vater war das Familienoberhaupt. In diesem Fall widersprach sie ihm nicht. Die junge Frau wartete in ihrem winzigen Zimmer, bis sie geholt wurde. Sie sah eine Fliege gegen die Fensterscheibe summen. Genau wie diese Fliege fühlte sie sich. Sie hatte die Freiheit vor Augen und konnte doch nicht hinaus. Von dem Gespräch im Wohnzimmer konnte Francesca nur ein dumpfes Gemurmel verstehen.
Ab und zu hörte sie ihre Mutter in der Kammer stöhnen, in der sie einquartiert worden war. Früher hatte Francescas Großmutter sie bewohnt, aber sie war gestorben. Maria Montalba litt schrecklich in der glühenden Hitze. Die Ärmste, dachte Francesca. In dem Moment wusste sie, dass sie alles tun würde, um ihrer Mutter zu helfen.
Nach zwanzig Minuten, mindestens solange erforderte es die Sitte, da0 sie fernblieb, erschien Francescas Bruder. Pietro war klein für sein Alter, mager und schwarzlockig. Ein quirliger Bursche mit einem oft unverschämten Mundwerk. Im Sonntagsstaat wirkte er genauso wie sein Vater wie verkleidet. Die schwachsinnige Schwester hatte man zu den Nachbarn gebracht, damit sie nicht störte.
»Sie sind fertig«, sagte Pietro respektlos. »Er hat um deine Hand angehalten. Der Alte hat ja gesagt.«
Francesca hätte ihm am liebsten eine Ohrfeige versetzt, damit er einmal Manieren lernte.
»Wie sprichst du von unserem Vater? Und was soll das heißen, dass er einfach zustimmte, ohne mich vorher zu fragen? Habe
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