Die Werwolfbraut (German Edition)
ich keine Stimme, wenn es um die Wahl meines Ehemanns geht?«
»Du hast Angst vor ihm?«, fragte Pietro, jetzt sanfter. Er war nicht so abgebrüht, wie er sich gern gab. Vor allem liebte er seine Schwester. »Du glaubst, dass er ein Werwolf ist?«
Francesca senkte den Kopf.
»Ich weiß nicht, was ich davon halten soll«, flüsterte sie. »Gestern Abend sind meine Cousine Rosanna und zwei andere Mädchen von einem Wolfsrudel angefallen worden. Es ist ungewöhnlich, dass um die Jahreszeit Wölfe in der Gegend sind. Diese Wölfe haben sich seltsam benommen. Bei Vollmond sind sie aufgetaucht. In den letzten beiden Nächten haben wir Wolfsgeheul gehört. Gestern erklang es ganz nahe bei unserem Haus, so als ob dieser Wolf mich rufen würde. Ich habe Angst, Pietro.«
Der Sechzehnjährige tätschelte Francescas Schulter und legte den Arm um sie.
»Ich werde dich immer beschützen, Schwesterherz«, sagte er prahlerisch und fürsorglich zugleich. »Ganz gleich, was geschieht. Ricardo di Lampedusa ist ungeheuer reich. Wenn du ihn heiratest, kann ich mir ein Motorrad kaufen. Aber das soll deine Entscheidung nicht beeinflussen.«
»Das will ich doch sehr hoffen«, antwortete Francesca und machte sich frei. »Oder soll ich mich mit einem Werwolf ins Bett legen, bloß damit du dein Motorrad erhältst? Das wäre zu viel verlangt.«
»Ich glaube nicht, dass er ein Werwolf ist«, sagte Pietro. »Und wenn, bringe ich ihn um. Ich töte ihn mit einer silbernen Kugel oder mit einem Silbermesser.«
»Vor oder nach der Hochzeit?«, fragte Francesca.
Darauf wusste ihr Bruder keine Antwort. Das hatte er sich noch nicht überlegt.
»Du bist mir ein wahrer Held, Bruder«, sagte die Schöne spöttisch. »Hast du schon mal einen Werwolf geküsst? Bei dir müsste ich fragen, eine Werwölfin?«
Pietro zuckte zusammen, obwohl es taghell und im Moment absolut keine Gefahr war.
»Hast du?«, fragte er.
Francesca stupste ihm mit dem Zeigefinger auf die Nase.
»Das geht dich nichts an«, erwiderte sie. »Jetzt will ich zu dem Marchese gehen.«
Während sie zum Wohnzimmer ging, schlenderte Pietro hinaus und schaute sich die Luxuslimousine des Marchese an. Sinnend betrachtete er die Wolfsfigur auf der Kühlerhaube. Etwa so groß wie eine Hand war dieser Wolf. In stolzer Haltung, von einem Künstler geformt, stand er da und bleckte die Reißzähne. Klein, aber täuschend echt waren sie nachgebildet.
Ein Markenzeichen des Autoherstellers so wie die geflügelte Emily beim Rolls Royce war dieser Wolf nicht. Eher eines vom Besitzer des Fahrzeugs. Entweder hatte Ricardo di Lampedusa einen ganz besonderen Sinn für Humor, oder dafür, dass er diesen Stander am Auto hatte, gab es andere Gründe. Pietro begab sich ins Haus zurück, das sich baufällig und klein an den Fuß des Weinbergs duckte.
2. Kapitel
Das erste, was Francesca auffiel, als sie die Stube betrat, waren die Augen Ricardos. Sein Gesicht lag im Schatten. Die Sonne ging blutrot hinter den Apeninnengipfeln unter und übergoss sie mit ihrem Glanz. In der Stube brannte noch kein Licht. Ricardos Augen schien zu glühen. Wie Wolfslichter schauten sie aus.
Der Marchese sprang sofort auf, als Francesca eintrat, verbeugte sich und küsste ihre Hand. Er gab ihr die Blumen, die er für sie mitgebracht hatte, und ein längliches und ein kleineres eckiges Schmucketui. Francesca in ihrem bunten Sommerkleid mit dem mit weißen Borten gesäumten Ausschnitt nahm alles entgegen und bedankte sich.
»Ich bin überglücklich, dich zu sehen«, sagte Ricardo. Seine Stimme war dunkel und tief, aber wohlklingend. »Gerade habe ich mit deinem Vater über unsere gemeinsame Zukunft gesprochen.« Verlangend schaute er sie an, wie der ausgedörrte Wüstenwanderer die Oase. »Francesca, du kennst meine Gefühle für dich...«
Michele Montalba räusperte sich. Auf dem Tisch standen Trauben und Gebäck sowie eine Karaffe mit Wein und drei zum Teil gefüllte Gläser. Die Nachbarin hantierte in der Küche. Man hörte Bestecke klirren. Francescas Vater war mit dem Ergebnis der Unterredung zufrieden, wie man deutlich sah. Er saß da und rauchte eine Zigarre, die Ricardo ihm mitgebracht hatte. Francescas Mutter lag wie fast immer im Bett. Pietro gesellte sich jetzt hinzu.
Die Nachbarin erschien und fragte, ob etwas gebraucht würde. Als Francescas Vater verneinte, meinte sie, dann könnte sie gehen und verabschiedete sich. Francesca stellte die Blumen selbst in die Vase. Es waren herrliche rote
Weitere Kostenlose Bücher