Die Werwolfbraut (German Edition)
Sie hielt den fragenden Blick der Mutter nicht aus. Diese hatte immer in ihr lesen können wie in einem offenen Buch.
»Es gibt triftige Gründe für mich, ihn zu heiraten«, sagte sie.
»Damit hast du meine Frage nicht beantwortet.« Maria Montalba hustete wieder. Als sie das Taschentuch vom Mund nahm, war Blut darin. »Liebst du diesen Mann?«
Francesca presste das Gesicht auf die Hände der Mutter.
»Ja«, log sie, »ich liebe ihn.«
»Warum tropfen dann Tränen auf meine Hand?«
Maria Montalba spürte die heißen Tränen. Mit tränenüberströmtem Gesicht richtete Francesca sich auf.
»Ach, Mutter, du tust mir so leid. Darum weine ich.«
Obwohl sie nicht die Wahrheit sagte, hatte sie damit doch erklärt, weshalb sie Ricardo di Lampedusa zu heiraten gedachte. Er sollte jedoch, das hatte sie fest vor, persönlich bei ihr um ihre Hand anhalten und sie fragen. Soviel Charakter und Stolz hatte sie.
*
In dieser Nacht heulte kein Wolf beim Anwesen der Montalbas. Am nächsten Tag brachte der Postbote einen Brief von der Bank. Michele Montalba riss ihn mit seinen schwieligen, verarbeiteten Händen auf und las, wobei er murmelnd die Lippen bewegte. Er saß auf der Bank vorm Haus.
»... Hypothekenschulden«, las er. »... Verantwortung gegenüber unseren Finanziers und Sparern... Mahnungen fruchtlos... Hypothek wird hiermit gekündigt. Vierzehn Tage Frist« das Datum folgte »um die Gesamtschuld zurückzuzahlen. Ansonsten wir uns leider zu einer Zwangsräumung und Versteigerung Ihres Anwesens, Parzelle Römisch Neun, Flurstücke« sie waren aufgelistet »gezwungen sehen. Bedauern wir dieses außerordentlich und in der Hoffnung, Ihr Verständnis zu finden, mit vorzüglicher Hochachtung...«
Die Unterschriften des Bankdirektors und eines Vorstandsmitglieds folgten. Michele Montalbas Schultern sanken nach vorn. Hätte er Tränen gehabt, wären sie ihm jetzt geflossen. Doch er konnte nicht weinen. Er las nochmals die Zahl, viel zu hoch war sie, viel mehr, als er damals aufgenommen hatte. Das konnte er niemals bezahlen. Wenn keine Hilfe kam, waren Haus und Hof verloren. Und Hilfe konnte nur von einer Seite erfolgen.
Michele Montalba hatte eine bittere Stunde der Wahrheit. Dreiundvierzig war er, bucklig und krumm gearbeitet, sah zehn Jahre älter aus und konnte trotz aller Schufterei tagaus und tagein seine Familie und den Besitz nicht erhalten. Es gab Männer, die sich in so einer Situation erhängten, oder die mit dem Kopf gegen die Wand rannten. Oder sie betranken sich sinnlos. Michele Montalba schaute in die Richtung des Schlosses di Lampedusa. Sehen konnte er es nicht, der Berghang war dazwischen.
Maria Montalba hustete in der Kammer. Ihr Mann ging zu ihr. Den Brief hatte er eingesteckt. Eine Weile später begab er sich in den Weinberg, um gegen die Schädlinge zu sprühen. Es konnte sich längst keine teuren Insektizide mehr leisten, sondern versprühte ein selbstgemischtes Zeug, das die Rebläuse und sonstigen Schmarotzer kaum beeindruckte. Manchmal glaubte Michele, davon würden sie erst recht gedeihen.
Er schwitzte sich den letzten Tropfen Flüssigkeit aus dem knorrigen Körper. Wer ihn sah, glaubte nicht, dass dieser hässliche und vom Leben verunstaltete und niedergeschmetterte Mann eine bildschöne Tochter hatte. Michele Montalba schuftete verbissen. Erst sprühte er, dann hackte und bewässerte er seine Reben und rupfte Unkraut. Francesca hatte er von der härtesten Arbeit freigestellt. Ausgeruht und schön sollte sie sein, wenn sie Ricardo entgegentrat. Pietro trieb sich wieder mal irgendwo herum.
Sein Vater verdrosch ihn des Öfteren mit dem Lederriemen. Doch Pietro ließ sich lieber verhauen, als die Plackerei in dem Weinberg und auf dem glutheißen, steinigen Feld ständig mitzumachen. Die Hiebe und die Schmerzen waren nach ein paar Minuten vorbei, und mit Striemen konnte man leben. So war es bei den Montalbas. Dabei war Michele immer ehrlich und anständig gewesen. Mancher Lump hatte es weiter gebracht als er und lebte in Freuden und herrlich. Jetzt, endlich, bot sich der Familie einmal eine Chance, wie von den Göttern gesendet.
Michele Montalba hatte mit seiner Tochter gesprochen. Er hoffte nur, dass nichts mehr dazwischenkam und die Heirat vereitelte. Francesca konnte sehr starrsinnig sein, und wer wusste schon, dachte Michele, was in einem Frauenherzen vorging? Francesca war stolz. Ricardo di Lampedusa konnte es immer noch bei ihr verderben. Ob er ein Werwolf ist, dachte Michele?
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