Die Werwolfbraut (German Edition)
Tschaikowski, die »Nussknackersuite«, auf CD. Bei den klassischen Klängen vermochte sie sich nicht zu entspannen. Sie lauschte ständig auf Geräusche im Schloss und fürchtete, bald wieder Wolfsgeheul zu hören.
Und sie fragte sich, was Ricardo in seiner Kammer trieb. Auch in dieser Nacht fand Francesca wenig Schlaf. Wieder war es fast Morgen, als sie endlich die Augen schloss. Sie schlummerte unruhig und träumte Dinge, an die sie sich später nicht mehr erinnern konnte. Am späten Vormittag weckte sie helles Tageslicht, das ins Zimmer flutete.
Verschlafen blinzelte die Neunzehnjährige in das Sonnenlicht. Sie wusste mit Sicherheit, dass sie die Läden geschlossen und die Vorhänge zugezogen hatte. Jetzt war alles offen. Da war jemand. Francesca fühlte sich beobachtet. Sie wusste bereits, wer da stand, noch ehe sie hinschaute. Langsam wendete sie den Kopf.
Ricardo stand rechts von ihr. Er war vollständig angezogen – Designeranzug und weißes Hemd mit offenem Kragen und schaute sie traurig an. Er hatte nichts Werwolfähnliches an sich. Doch es würde, das wusste Francesca, immer zwischen ihnen stehen, dass er ein Werwolf war.
»Wie bist du hereingekommen?«, fragte sie ihn, nachdem sie sich im Bett aufgesetzt hatte.
»Es gibt eine Geheimtür«, antwortete er und öffnete sie einen Spalt. Die Türritzen waren im Tapetenmuster nicht zu erkennen. »Ich muss mit dir reden, Francesca. Unsere Verlobung ist aufgelöst. Du musst noch heute das Schloss verlassen und zu deiner Familie zurückkehren. Ich kann nicht verantworten, dich länger in meiner Nähe zu lassen.«
Als Francescas Gesichtsausdruck sah, fuhr er fort: »Keine Angst, ich werde dich reich entschädigen. Deine Familie kann alles behalten, was sie von mir erhielt und bekommt noch etwas dazu. Doch unsere Ehe ist leider nicht möglich.«
»Werde ich überhaupt nicht gefragt?«, wollte Francesca wissen. »Zuerst hast du mit meinem Vater gesprochen und bei ihm um meine Hand angehalten. Jetzt stellst du mich wieder vor vollendete Tatsachen. Glaubst du, dass ich ein Spielzeug bin?«
Ricardo senkte den Kopf.
»Nein«, sagte er leise. »Aber ich bin ein Werwolf, eine Bestie. Ich würde dich früher oder später zerreißen, wenn mich der Trieb überkommt. Du hast es selbst gesehen, das armdicke Gitter habe ich aus der Mauer gerissen, um hinauszukönnen und mich im silbernen Licht des Vollmonds auszutoben. Dabei hatte ich mir geschworen, das nie wieder zu tun.«
In diesem Augenblick fiel für Francesca Montalba die Entscheidung über Leben und Tod. Sie ging zu Ricardo und fasste ihn bei der Hand. Sie konnte nicht anders. Die Hand des Mannes war warm und trocken. Sie fühlte sich völlig normal an.
»Kann ich dir helfen?«, fragte Francesca. »Willst du dich mir nicht anvertrauen? Wir sind doch verlobt und wollen unser Leben miteinander teilen, in guten wie in schlechten Tagen. Gemeinsam die Last und das Leid tragen, zusammen die Freude erleben. Ich bin deine Frau.«
Ein Beben durchlief den hochgewachsenen, muskulösen Körper des Marchese. Einen Moment zögerte er, als ob er eine schöne Halluzination hätte.
»Es kann nicht sein«, sagte er dann. »Es ist zu gefährlich für dich, unmöglich. Du musst gehen, Francesca. Ich bin dazu verdammt, für immer allein zu bleiben. Der Fluch der Lampedusas, du verstehst? Mein Ururgroßvater brachte ihn mit. Er war ein großer Reisender und Jäger. Sein Traum war es, einmal einen Werwolf zur Strecke zu bringen. In Transsylvanien ist er auf die Jagd gegangen, im Land Draculas.«
»Das war kein Werwolf.«
»In den Karpaten gab und gibt es noch andere Ungeheuer. Mein Vorfahr spürte einen Werwolf auf. Er brachte ihn auch zur Strecke, und gleichzeitig der Werwolf ihn. Mit einem Biss, den die schon für tot gehaltene Bestie meinem Vorfahr verpasste, und seinem Fluch, den er über ihn verhängte. Der Werwolf, erzählte mein Vorfahr, lachte teuflisch, bevor er dann an der Silberkugel starb. Sein Körper löste sich zu Staub auf, denn er war uralt, viele, viele Generationen hatte er schon sein blutiges Unwesen getrieben.«
Ricardo legte dem Arm um Francesca.
»Verlass jetzt das Schloss, bitte.«
Er schaute die bildschöne junge Frau im hauchdünnen Negligé an und schluckte. Verlangen regte sich in ihm, sie in die Arme zu reißen. Doch er beherrschte sich. Das durfte nicht sein. Er war kein richtiger Mensch. Francesca erriet seine Gedanken, wie es überhaupt einen seelischen Gleichklang zwischen ihnen gab und der
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