Die Werwolfbraut (German Edition)
Gebüsch, und es würde noch eine ganze Weile dauern, bis sie den Wald verließen und die Felder erreichten. Bis dahin konnte viel geschehen. Rita war sonst sehr frech. Doch diesmal hätte sie um keinen Preis einen Scherz gemacht und die andern erschreckt und geschrien: Huh, der Werwolf. Dazu hatte sie selbst viel zu viel Angst.
Unheimlich war es. Der Wald wirkte völlig verändert bei Nacht und bei Vollmond. Die Mädchen waren überzeugt, dass etwas – oder jemand – sie umschlich und belauerte.
»Da ist etwas«, flüsterte Rita. Und: »Was ist das für ein Geräusch?«
»Meine Zähne klappern«, gestand Annunciata ehrlich. Sie schluchzte: »Ich will nach Hause. Ich will nicht vom Werwolf zerrissen werden.«
»Vorhin sagtest du noch, dass es keine Werwölfe gibt und dass alles ein Aberglaube ist«, bemerkte Rosanna. »Geht weiter, bleibt ja nicht stehen.«
Plötzlich ertönte ein schauriges Wolfsgeheul. Die Mädchen erlitten einen Todesschrecken. Sie schrien entsetzt auf. Mit dem Rücken stellten sie sich an einen Baum und hielten sich bei den Händen. Ihre Körbe mit den gesammelten Beeren hatten sie noch immer. Alle drei zitterten.
»Der Werwolf ist da!«, stöhnte Rita.
Glühende Augen leuchteten aus dem Unterholz, schräg, grün und böse. Drei paar Wolfslichter waren es. Die Mädchen zitterten am ganzen Körper. Eiskalter Schweiß brach ihnen aus, obwohl es warm und schwül war.
»Heilige Mutter Gottes«, betete Annunciata, »bitte für uns Sünder, jetzt und in der Stunde unseres Todes.«
Die drei Wölfe schlichen näher heran. Sie hatten die Mädchen umzingelt. Im nächsten Moment mussten sie sich auf sie stürzen. Jetzt trat ein Wolf in das Mondlicht. Es war eine große, grauschwarze Bestie mit langen Reißzähnen. Wie Dolchzacken wirkten sie. Die Wolfszunge hing aus dem Maul. Die Bestie knurrte grollend und dumpf.
Und eine schwarze Wölfin, vielleicht noch größer und unheimlich anzuschauen, kam auf der anderen Seite zwischen zwei verkrüppelten Pinien hervor. Die Lichter der Wölfin glühten. Eine fahle, kaum merkliche Aura umgab ihren muskulösen, hageren Leib. Sie reckte die Schnauze zum Vollmond empor und heulte ihn schaurig an. Den Mädchen ging es durch Mark und Bein.
»Wir sind verloren«, stöhnte Rosanna. »Was sollen wir tun?«
Auf den Baum zu klettern, war es zu spät. Die Wölfe würden schneller sein und sich auf sie stürzen, ehe ihnen das gelang. Von dem dritten Wolf waren nur die glühenden Augen zu sehen. Er schlich sich heran, hechelnd, die Rute gestreckt, eine mordlüsterne Bestie.
Zwischen den Wölfen gab es eine große Lücke. Darin sah Rosanna, wenn nicht noch weitere Bestien im Wald waren, ihre Chance.
»Wir rennen um unser Leben«, schlug sie vor. »Wenn wir uns trennen, stürzen die Wölfe sich nur auf eine von uns, wenn wir Glück haben.«
»Dann können zwei entkommen«, sagte Rita. »Oder auch nur eine.«
»Besser als keine.«
Es gab keine andere Möglichkeit. Die drei Freundinnen schauten sich an. Zum letzten Mal vielleicht für eine von ihnen drückten sie sich die Hand. Die schwarze Wölfin hatte zu Heulen aufgehört. Ehe die Wölfe noch näher heran waren, rannten die drei los, so schnell wie sie konnten. Die Wölfe sprangen sofort auf sie los.
*
Rosanna rannte durch eine Brombeerhecke und zerriss sich das Kleid und die Haut. Sie spürte den Schmerz nicht. Hinter sich hörte sie das Hecheln und Japsen der Wölfe. Todesangst ließ sie ihre Anstrengungen verdoppeln, obwohl es schon wie mit Messern in ihrer Seite stach. Sie hatte ihre Freundinnen aus den Augen verloren, ja, hörte sie nicht einmal mehr.
Die Siebzehnjährige warf jetzt erst ihren Korb mit den Beeren weg. Er flog einem Wolf entgegen. Die Beeren kollerten durch die Gegend. Rosanna rannte, so schnell sie konnte, trotz aller Panik instinktsicher genug, dass sie sich nicht den Kopf an einem Baum einschlug. Ausgerechnet auf sie hatten es alle drei Wölfe abgesehen, seien es nun Werwölfe oder nicht.
Rosanna schrie auf, als ein Wolf neben ihr auftauchte und nach ihren nackten Beinen schnappte. Niemals zuvor in ihrem Leben hatte sie solche Angst gehabt.
»Hilfe! Hil...«
Ihre Stimme versagte. Die Luft blieb ihr weg. Auch links von ihr rannte jetzt ein Wolf, und knapp hinter ihr war einer. Rosanna spürte einen scharfen Schmerz an der Ferse. Er hat mich gebissen, dachte sie. Sie rannte, schlug einen Haken, stürzte einen Hang hinunter, raffte sich gleich wieder auf und rannte weiter. Sie
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