Die Wespenfabrik
dann ging ich zum Abendessen ins Haus.
»Er wird gesucht«, sagte mein Vater unvermittelt
zwischen zwei Mundvoll Kohl und Sojabällchen. Seine dunklen
Augen flackerten mich an wie hohe, rußige Flammen, dann senkte
er den Blick wieder. Ich trank von dem Bier, das ich aufgemacht
hatte. Das zweite Ergebnis meines Selbstbrauens war wohlschmeckender
geraten, und stärker.
»Eric?«
»Ja, Eric. Er wird im Moor gesucht.«
»Im Moor?«
»Sie glauben, er könnte im Moor sein.«
»Ja, das paßt zu ihnen, daß sie ihn dort
suchen.«
»In der Tat«, sagte mein Vater und nickte dazu.
»Warum summst du vor dich hin?«
Ich räusperte mich, aß meine Frikadellen weiter und tat
so, als ob ich ihn nicht richtig verstanden hätte.
»Ich habe nachgedacht«, sagte er, während er sich
noch etwas von der grün-braunen Mischung ins Gesicht
löffelte und lange darauf herumkaute. Ich wartete, was er als
nächstes sagen würde. Er schwenkte seinen Löffel
schlaff hin und her, deutete damit vage die Treppe hinauf und sagte
schließlich: »Was schätzt du, wie lang ist die
Telefonschnur?«
»Locker hängend oder straff angezogen?« fragte ich
schnell und stellte mein Glas Bier ab. Er gab einen Grunzton von sich
und sagte nichts mehr, sondern wandte sich wieder seinem Teller mit
dem Essen zu, offensichtlich zufrieden, wenn nicht sogar
äußerst angetan. Ich trank.
»Hast du einen besonderen Wunsch, was ich dir aus der Stadt
bestellen soll?« fragte er nach einiger Zeit, bevor er sich den
Mund mit frischgepreßtem Orangensaft ausspülte. Ich
schüttelte den Kopf, trank mein Bier.
»Nein, nur das übliche.« Ich zuckte die
Achseln.
»Schnellkartoffeln und fertige Frikadellen und
Zucker-und-Minze-Pasteten und Cornflakes und solchen Mist, nehme ich
an.« Mein Vater lächelte leicht höhnisch, obwohl seine
Aufzählung einigermaßen neutral geklungen hatte.
Ich nickte. »Ja, das genügt vollkommen. Du kennst meine
Vorlieben.«
»Du ernährst dich nicht richtig. Ich hätte strenger
mit dir sein müssen.«
Ich erwiderte nichts, sondern aß langsam weiter. Ich
spürte, daß mich mein Vater vom anderen Ende des Tisches
ansah; er betrachtete meinen über den Teller gebeugten Kopf,
während er seinen Saft in dem Glas schwenkte. Er schüttelte
den Kopf und stand vom Tisch auf, dabei nahm er seinen Teller mit und
ließ im Spülbecken Wasser darüberlaufen.
»Gehst du heute abend noch weg?« fragte er, während
er den Hahn abdrehte.
»Nein, heute bleibe ich zu Hause. Morgen gehe ich
aus.«
»Ich hoffe, du besäufst dich nicht wieder sinnlos.
Einmal wird man dich festnehmen, und was dann?« Er sah mich an.
»Hm?«
»Ich werde mich nicht sinnlos betrinken«, versicherte
ich ihm. »Ich trinke ein Glas oder zwei, um nicht ungesellig zu
sein, das ist alles.«
»Na ja, du machst immer ziemlich viel Krach für
jemanden, der nur ein bißchen gesellig war, das muß ich
schon sagen.« Er warf mir wieder einen finsteren Blick zu und
setzte sich.
Ich hob die Schultern. Natürlich betrinke ich mich. Welchen
Sinn hat das Trinken, wenn man davon nicht betrunken wird? Aber ich
bin vorsichtig, ich möchte jegliche Komplikationen
vermeiden.
»Also, paß nur gut auf. Deine Fürze verraten mir
immer, was du intus hast.« Er blies Luft durch die Lippen, als
ob er einen nachmachen wollte.
Mein Vater hat eine Theorie, nach der die Verbindung zwischen
Geist und Darm sehr elementar und direkt ist. Das ist ebenfalls eine
seiner Ideen, für die er ständig andere Menschen zu
interessieren versucht; er hat ein Manuskript zu diesem Thema in der
Schublade (›Über das Wesen des Furzes‹), das er auch
immer wieder an Londoner Verlage schickt und natürlich
postwendend zurückerhält. Er hatte mehrfach behauptet,
daß ihm Fürze nicht nur verraten, was jemand gegessen oder
getrunken hat, sondern auch, um was für eine Art von Mensch es
sich handelt, was sie essen sollten, ob sie emotional instabil
oder traurig sind, ob sie Geheimnisse mit sich herumtragen, ob sie
sich hinter jemandes Rücken über ihn lustig machen oder
versuchen, sich bei jemandem einzuschmeicheln, oder sogar, was sie in
dem Moment denken, in dem sie den Furz lassen (hierbei urteilt er in
erster Linie nach dem Ton). Alles totaler Unsinn.
»Hm«, sagte ich, mir keiner Schuld bewußt.
»Oh, das kann ich wirklich«, sagte er, während ich
meine Mahlzeit beendete und mich zurücklehnte, mir den Mund mit
dem Handrücken abwischte, vor allem, um ihn zu ärgern, und
weniger aus irgendeinem anderen
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