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Die Wespenfabrik

Die Wespenfabrik

Titel: Die Wespenfabrik Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ian Banks
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gesicherte und geschlossenere Anstalten
verlegt, je länger seine Tests und Drohungen und Kämpfe
anhielten. Mein Vater und ich hörten, daß er erheblich
ruhiger geworden sei, seit er sich in einer Klinik südlich von
Glasgow eingewöhnt hatte, und keine Fluchtversuche mehr
unternähme, aber rückblickend drängt sich der Verdacht
auf, daß er lediglich versucht hat – mit Erfolg, so
scheint es –, seine Aufseher einzulullen und in ihnen ein
falsches Gefühl der Sicherheit zu wecken.
    Und jetzt war er auf dem Weg hierher zu uns.
     
    Ich schwenkte mein Fernglas langsam über das Land vor mir und
unter mir, von Norden nach Süden, von einer Dunstschwade zur
nächsten, über die Stadt und die Straßen und die
Eisenbahnlinie und die Felder und den Strand, und fragte mich, ob
wohl irgendwann der Ort in meinem Blickfeld gewesen war, an dem sich
Eric jetzt befand, sofern er schon so weit gekommen war. Ich hatte
das Gefühl, daß er sehr nah war. Es gab keinen
vernünftigen Grund für diese Annahme, doch er hatte
ausreichend Zeit gehabt, der Anruf am Abend zuvor hatte deutlicher
geklungen als die anderen, und… ich spürte es einfach.
Vielleicht war er jetzt hier und lag irgendwo bis zum Einbruch der
Dunkelheit auf der Lauer, bevor er sich bewegte, oder er streifte
durch den Wald oder die Ginsterbüsche in den Senken zwischen den
Dünen, während er sich aufs Haus zubewegte oder nach Hunden
Ausschau hielt.
    Ich marschierte über den Hügelkamm, kam dann einige
Kilometer südlich von der Stadt wieder in die Ebene herunter,
durch Reihen von Nadelbäumen, wo in der Ferne Kreissägen
kreischten und die dunkle Masse der Bäume schattig und ruhig
war. Ich überquerte die Eisenbahnschienen und ein paar Felder
mit schwankender Gerste, überquerte die Straße und
struppige Schafweiden, bis ich den Strand erreichte.
    Meine Füße waren wund, und meine Beine schmerzten,
während ich der Linie des harten Sandes folgend am Strand
entlanglief. Ein leichter Wind hatte vom Meer her aufgefrischt, und
ich war froh darüber, denn die Wolken waren verschwunden, und
die Sonne war immer noch kräftig, obwohl sie bereits im Sinken
begriffen war. Ich gelangte an einen Fluß, den ich bereits in
den Hügeln einmal überquert hatte und den ich jetzt in der
Nähe des Meeres noch einmal überquerte, indem ich ein
Stück in die Dünen hineinging zu einer Stelle, wo es, wie
ich wußte, eine Drahtseilbrücke gab. Schafe stoben vor mir
auseinander, einige geschoren, einige noch mit wuscheligem Fell; sie
hüpften in langen Sätzen mit ihrem abgehackt klingenden
Bääh davon, dann hielten sie inne, wenn sie glaubten,
daß sie in Sicherheit waren, und senkten die Köpfe zu
Boden oder knieten sich hin, um das Zupfen des mit Blumen
durchsetzten Grases wieder aufzunehmen.
    Ich erinnere mich, daß ich früher Schafe wegen ihrer
unsäglichen Dummheit verachtet hatte. Ich hatte gesehen, wie sie
fraßen und fraßen und fraßen; ich hatte gesehen,
wie Hunde ganze Herden von ihnen überlistet hatten; ich hatte
sie gejagt und sie wegen der Art, wie sie rannten, ausgelacht; hatte
sie beobachtet, wie sie sich selbst in alle möglichen
törichten, verzwickten Situationen brachten, und ich war der
Ansicht, daß es ihnen ganz recht geschähe, wenn sie als
Hammelbraten endeten, und daß es noch zu gut für sie war,
als wolleproduzierende Maschine benutzt zu werden. Es dauerte Jahre,
und es war ein langwieriger Prozeß, bevor ich allmählich
begriff, was Schafe in Wirklichkeit verkörperten: nicht ihre
eigene Dummheit, sondern unsere Macht, unsere Habsucht, unseren
Egoismus.
    Nachdem ich verstanden hatte, was Evolution ist, und mich etwas in
der Geschichte und der Landwirtschaft auskannte, sah ich, daß
die dicken weißen Tiere, die ich ausgelacht hatte, weil sie
stumpfsinnig hintereinander herliefen und sich im Gebüsch
verfingen, sowohl das Produkt von Generationen von Bauern als auch
das von Generationen von Schafen waren; wir haben sie so
gemacht, wir kneteten sie aus den wilden, klugen Überlebenden,
die ihre Vorfahren waren, damit sie fügsame, ängstliche,
schmackhafte Wollieferanten wurden. Wir wollten nicht, daß sie
klug sind, und bis zu einem gewissen Grad schwanden ihr
Aggressionstrieb und ihre Intelligenz gleichzeitig. Natürlich
sind die Hammel klüger, doch auch sie sind durch das Verhalten
ihrer idiotischen Weibchen beeinträchtigt, mit denen sie
verbunden sind und die sie mit ihrem Samen befruchten
müssen.
    Das gleiche Prinzip gilt für Hühner und Kühe

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