Die widerspenstige Braut
gingen schier die Augen über, sie nahm den überwältigenden Anblick mit allen Sinnen auf. Hingerissen ging sie hinüber zu der breiten Steinbrüstung und musste sich daran festhalten.
Sie wusste, dass diese Landschaft hier so war. Sie hatte sogar Teile davon an ihrem Ankunftstag gesehen. Aber von der Veranda aus schien alles so … groß zu sein. Die sonnenbeschienenen, gemähten Rasenflächen reichten bis hinunter zu einem ausgedehnten, azurblauen See. In dem ruhigen Wasser spiegelten sich die Bergspitzen, graue, schroffe Felsen mit Einsprengseln von hellen Steinen, und smaragdgrüne Wiesen, die sich davor ausbreiteten. Hier und da hatte sich in schattigen Gebirgsspalten etwas Schnee gehalten, sogar noch mitten in der Sommerhitze, und weiter unten standen Eschen, Ulmen und Haselsträucher wie einsatzbereite Soldaten, die auf den Beginn des Gefechts warteten. Vögel – riesige Vögel – kreisten gelassen am blauen Himmel.
Überwältigt presste sich Samantha die Hand auf den M und.
Emmeline ergriff ihre andere Hand. »Miss Prendregast, warum gucken Sie so komisch?«
»Ich … es ist nur … Ich habe noch nie so etwas gesehen. Es wirkt so … wild. Und … beängstigend.«
Agnes fixierte sie. »Ich werde Vater erzählen, dass Sie das gesagt haben. Er liebt die Berge mehr als alles andere.«
Samantha riss sich von der Aussicht los und schenkte Agnes ein feines Lächeln. »Dein Vater weiß bereits, was ich über die Wildnis denke. Ich habe es ihm gesagt.«
»Das … haben … Sie nicht.« Agnes gaffte sie mit weit aufgerissenen Augen ungläubig an. »Niemand sagt Vater Dinge, die er nicht hören möchte.«
»Ich schon.« Samantha nahm die Veranda in Augenschein, die aus glänzendem Granit gebaut war und auf der verschiedentlich Tische und Stühle unter breiten Markisen standen.
»Das sieht sehr bequem aus. Warum bleiben wir nicht hier?«
»Nein! Nein!« Henrietta hüpfte aufgeregt auf und ab mit geballten Fäusten. »Wir möchten Sie mitnehmen zum M…«
Vivian legte Henrietta ihre Hand über den Mund und hinderte sie am Weitersprechen. »Zur Seilbrücke. Wir wollen Ihnen die Seilbrücke zeigen.«
Samantha blickte rasch von einer zur anderen, dann prüfend nacheinander die Mädchen einzeln an. »Zur Seilbrücke?«
Sie nickten in schöner Einmütigkeit.
»Dann müssen wi r natürlich zur Seilbrücke gehen.« Samantha wies auf Agnes. »Auf geht’s, MacDuff.«
Sie nahmen den mit Steinen gepflasterten Pfad, der sich entlang des Sees wand und sie schließlich unter die Bäume führte.
Eichen dominierten im Park, und weite glatte Rasenflächen mit Bänken hier und da zum Ausruhen. Aber schon bald bogen die Kinder in ein verwildertes Gelände ab, kletterten über Trockensteinmauern und schlenderten über einen Trampelpfad, der über eine blumenübersäte Wiese führte. Samantha verlangsamte ihre Schritte. »Sind wir noch auf dem Land eures Vaters?«
Agnes drehte sich zu ihr um. »Warum?«
»Weil euer Vater verlangt, dass wir auf seinem Besitz bleiben.«
»Warum haben Sie Vater nicht gesagt, dass Sie das nicht möchten?«, fragte Agnes abfällig.
»Weil ich es genauso möchte. Ich möchte in Sicherheit bleiben, und ich möchte, dass ihr es auch seid.« Sie sah Agnes unbeirrt an, bis diese den Kopf wegdrehte.
Das Gelände stieg jetzt an. Sie umrundeten Pfützen und schlugen sich hier und da durch Unterholz. Bei den steileren Stücken musste Agnes Kyla helfen, und Vivian half Emmeline.
Agnes wandte sich kurz um zu Samantha. »Können Sie noch, Miss Prendregast?«
»Trotz meines recht fortgeschrittenen Alters finde ich, dass ich es ganz gut mache.«
Samantha bezweifelte, dass die anderen ihren ironischen Tonfall mitbekommen hatten, aber Agnes hatte ihn durchaus verstanden und warf ihr einen ersten, leicht schockierten Blick zu, der dann arglistig wurde.
Mara war dieser Austausch verborgen geblieben, und sie bot ihr ihre Hand an. »Ich helfe Ihnen, Miss Prendregast.«
Samantha freute sich über die vertrauensvolle kleine Hand, die sich in ihre schmiegte.
»Es ist nicht mehr weit«, versicherte Mara ihr.
Die Seilbrücke war genau das, was der Name schon ausdrückte, eine Brücke aus dicken Seilen, die um Latten geknüpft waren und so einen schmalen Übergang bildeten. Hier gab es keinen einzigen Baum, nur einige Grasbüschel, die am Rand einer Senke wuchsen, über die die durchhängende Brücke führte.
Fast wadenhoher dicker, stinkender Morast füllte die Senke.
Die Enden der Brücke waren um
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