Die widerspenstige Lady
dem Kontinent weilen.“
Juliet straffte die Schultern. „Annabell ist mein Gast, Lord Fenwick-Clyde. Und ich bin sicherlich eine geeignete Anstandsdame.“
„Vergebung“, bat Fenwick-Clyde hastig. „Ich wollte damit nichts andeuten.“
Nachdenklich betrachtete Annabell ihn. Susan hatte recht. Der Mann war ein furchtbarer Spießer, dem nichts über die gesellschaftlichen Spielregeln ging. Manchmal fand sie ihn wirklich unerträglich. Nun, glücklicherweise war sie ihm seit dem Tod ihres Gemahls kaum noch begegnet, und selbst während der Ehe hatte er den Vater nur selten besucht. Timothy war nicht gut mit ihm ausgekommen, was allerdings wiederum für ihn sprach. Vielleicht würde Juliet dem ein wenig steifen Fenwick-Clyde mit ihrer lebenslustigen Art guttun. Aber ob man dies auch umgekehrt von ihm behaupten konnte?
Um dem Gespräch eine andere Wendung zu geben, fragte Annabell: „Was führt dich hierher nach Kent, Timothy? Soweit ich mich erinnere, besitzt du in der Gegend keine Ländereien.“
Wieder glühten seine Wangen. „Ich kam, um Lady Fitzsimmon zu besuchen. Wir lernten uns während der Saison kennen und schreiben einander seitdem.“
„Ich bat Hugo, Lord Fenwick-Clyde einzuladen“, bestätigte Juliet.
Eins der Dienstmädchen kam herein und servierte Annabell Toast zum Tee.
„Wie lange wirst du bleiben?“, fragte diese den Stiefsohn.
„Ich weiß es noch nicht.“
Es fiel Annabell schwer, sich den stocksteifen Timothy mit Rosalie und Joseph vorzustellen. Oder gar wie er Juliet küsste … Er wirkte so vollkommen leidenschaftslos. Andererseits war er ja schon einmal verheiratet gewesen und hatte selbst Kinder.
„Ah, hier seid ihr.“ Hugo kam herein. „Butterfield gab mir Bescheid, dass Sie eingetroffen sind, Fenwick-Clyde. Wie ich sehe, hat Juliet sich bereits um Erfrischungen für Sie gekümmert. Wie geht es Ihnen?“ Er streckte dem Gast die Hand entgegen. „Bedauerlicherweise haben wir uns verpasst, als ich die Einladung in Ihrem Haus in London abgab.“
Fenwick-Clyde schlug ein. „Guten Morgen, Sir Hugo.“
Verstohlen musterte Annabell ihren Gastgeber. Er schien nicht viel geschlafen zu haben. Die Augen waren gerötet, und dunkle Schatten lagen darunter.
„Wie lange werden Sie uns Gesellschaft leisten können?“, fragte Hugo, obwohl sein Ton verriet, dass es ihm eigentlich ganz gleich war.
Juliet antwortete schnell: „Lord Fenwick-Clyde wird hoffentlich so lange wie möglich bei uns bleiben. Das war doch auch dein Wunsch, nicht wahr, Hugo?“
„Selbstverständlich“, bestätigte er. „Ich wollte nur Butterfield vorbereiten, damit er weiß, worauf er sich einzustellen hat.“ Er wagte es, Annabell kurz anzusehen. „Entschuldigen Sie mich, aber mein Verwalter wartet. Wir sehen uns dann alle später beim Dinner.“
Mit einer Verbeugung wandte er sich um und verließ den Salon.
13. KAPITEL
Das Dinner gestaltete sich an diesem Abend überaus gezwungen. Annabell war kurz davor, sich noch während des Desserts zu verabschieden. Hugo ließ sie keine Sekunde aus den Augen, sondern beobachtete sie unablässig mit finsterer Miene. Auch Timothy entging diese geballte Aufmerksamkeit nicht, und er schaute immer wieder mit gerunzelter Stirn zwischen der Stiefmutter und seinem Gastgeber hin und her. Annabell tat, als würde sie nichts bemerken, was ihr nicht eben leicht fiel.
Endlich erhob sich Juliet, der Susan es sofort gleichtat. Die beiden entflohen gemeinsam in den Salon. Annabell folgte ihnen, allerdings nur, um sich für den Abend zu entschuldigen. „Verzeiht mir, ihr zwei“, bat sie. „Aber ich fühle mich nicht ganz wohl. Wahrscheinlich war ich bei der Arbeit ein wenig zu lange der Sonne ausgesetzt. Ich werde mich jetzt zurückziehen.“
„Natürlich, Annabell.“ Juliet nickte. „Ich werde es den Herren erklären.“
„Hast du heute etwas Bemerkenswertes entdeckt?“, erkundigte sich Susan, die nur noch an Mr. Tatterly denken konnte, geistesabwesend.
„Lediglich einen Tonkrug. Nichts sonderlich Aufregendes also.“
„Ich werde ihn morgen zeichnen“, versprach Susan.
„Sehr schön.“ Annabell lächelte ihr zu.
In ihrem Zimmer angekommen, entkleidete sie sich rasch und schlüpfte in das zarte Nachthemd. Kaum hatte sie die anderen Sachen in den Kleiderschrank gehängt, klopfte es an der Tür. Zweifellos Susan, die sich noch kurz erkundigen wollte, ob ihr auch wirklich nichts Ernstes fehlte. „Ja!“
Ein Hauch von Zimt drang herein, als die Tür sich
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