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Die Wiedergeburt (German Edition)

Die Wiedergeburt (German Edition)

Titel: Die Wiedergeburt (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Uwe Siebert
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ren nach oben gerichtet, und die Daumen berührten sich. In dieser meditativen Haltung war Ojun nicht ansprec h bar, doch schien es, dass der Wind sanfte Stimmen mit sich brachte, deren Botschaften allein für Ojun bestimmt schienen.
    Als Larkyen später aus lauter Neugier wagte, ihn auf dieses Mysterium anzusprechen, antwortete der Scham a ne, er hätte den Winden gelauscht.
    „In den Winden manifestieren sich die Stimmen der Götter; sie sprachen zu mir und wiesen mir die Aufgabe zu, mich auch weiterhin um dich zu kümmern. Außerdem soll ich verkünden, dass eine schwere Entscheidung vor dir liegt. Der Weg der Rache ist etwas Natürliches. Es ist nur gerecht, dass du jenen nach dem Leben trachtest, die dir deine Lieben wegnahmen. Und es ist nur natürlich, dass dein Hass dich zur Vergeltung an diesen Schuldigen treibt. Vergiss aber niemals, das dieser Hass zusammen mit denen sterben muss, die ihn geweckt haben. Mit dir wird der Beginn einer neuen Ära eingeläutet werden, und wenn du diese Ära mit Hass einläutest, so wird sie auch von Hass geprägt sein. Lass nicht zu, dass die Verga n genheit sich wiederholt.“
    „Wann wird es soweit sein? Mein Wandel, die En t scheidung, die Ära – wann, Ojun?“
    „Deine Veränderung schreitet langsam voran“, an t wortete der Schamane. „Deshalb spürst du auch noch die Folgen deiner schweren Verwundung durch den giftigen Pfeil. Du musst dich in Geduld üben, Larkyen. Es kann viele Tage dauern. Vergiss nicht, du legst dein Menschsein ab. Doch ich kann dir versichern, dass du schon jetzt den Tod nicht mehr fürchten musst.“
    Ojun erhob sich, zückte ein Messer und stieß es La r kyen mitten in die Brust.
    Larkyen keuchte, als der brennende Schmerz seinen Brustkorb ausfüllte und die Klinge sein Herz durchboh r te. Ungläubig sah er dem Schamanen in die Augen.
    Mit einem Ruck zog Ojun das Messer wieder aus La r kyens Brust heraus. Blut floss in einem feinen, sofort ve r siegenden Strom aus der Wunde.
    Larkyen tastete die Wunde ab. Schockiert stieß er den Schamanen von sich.
    „Du bist wahnsinnig, alter Mann!“ rief er.
    „Bitte verzeih“, sagte Ojun beschwichtigend. „Es ist wichtig, dass du weißt, wer du bist, und auch daran glaubst. Jeder andere wäre auf der Stelle gestorben, du aber lebst.“
    „Ich sollte dich dafür prügeln“, zischte Larkyen im Zorn.
    „Tu das, wenn du willst“, sagte der Schamane, „aber sei dir gewiss, meine Hand kann dir keinerlei Schaden zufügen. Begreife es doch endlich. Keine Verwundung, keine Enthauptung, noch Verstümmelung durch gewöh n liche Waffen, vermögen dich zu töten. In dir brennt das schwarze Lebensfeuer!“
    Larkyen wandte sich ab. Abermals begab er sich an den Waldrand und ließ sich dort nieder. Er tastete über die Einstichstelle auf seiner Brust, die noch schmerzte, sich aber bereits wieder geschlossen und eine dünne Na r be auf seiner Haut hinterlassen hatte.
    Erst bei Sonnenuntergang hatte Larkyens Verärgerung sich gelegt. Doch konnte er nicht leugnen, dass dieser einzige Messerstoß seinen Glauben an sich selbst bestärkt hatte. Nun wusste er, wer er war. Und empfand dem Schamanen gegenüber sogar Dankbarkeit.
    Die Gewissheit, unsterblich zu sein, war wunderbar und lastete dennoch wie ein Fels auf seinen Schultern. Denn angesichts des ständigen Gedenkens an all jene, d e ren Tod er miterlebt hatte, war es schwer, einen tieferen Sinn darin zu sehen, dass ausgerechnet er es war, der aus all jenen Gräueln und der Gewalt lebendig hervorging.
     
    In der kommenden Nacht saßen Larkyen und Ojun noch lange am Feuer. Larkyen erzählte von seinem Leben als Nomade und erfuhr, dass Ojun einst ebenfalls einem Nomadenstamm angehört hatte. Er war ein Schamane der Yltan gewesen, bevor er beschlossen hatte, den Winden zu folgen, die ihn fort von der Steppe und zuletzt an j e nen einsamen Ort beim Altoryagebirge geführt hatten.
    „Etliche Winter lebe ich nun schon hier“, sagte Ojun. „Fernab meines Stammes, fernab der Menschen, und nun weiß ich, warum mich die Winde einst an diesen Ort füh r ten. Damit ich dir begegnen konnte.“
    Der Schamane sprach von den vier Winden, von der Wichtigkeit des Glaubens an die Götter und erwähnte auch den Namen des Gottes, dem die meisten Kedanier huldigten: Nordar, dem Gott des Krieges, dessen Name in allen Teilen der Welt mit Ehrfurcht ausgesprochen wurde und der sein Heim im hohen Norden hatte, inmitten des ewigen Eises. Es hieß, Boldar die Bestie habe dem Kriegsgott

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